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Salis, Arnold [Editor]; Salis, Arnold [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 1. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 2: Picenum — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41988#0067
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Neue Darstellungen griechischer Sagen: II. Picenum.

59

Und nun erscheint auch die oben (S. 44) besprochene Szene
auf der Schiff-Stele Tafel 2 doch vielleicht in einem anderen Licht!
Was zunächst einfach nach einer „Züchtigung von Sklaven“ aus-
sah, stellt sich vielmehr als ein ziemlich verbreiteter kathartischer
Ritus dar, der bei den Griechen und Römern, wenn auch zum Teil
in gemilderter Form, noch in geschichtlicher Zeit sich gehalten hat.
Das Versenken lebender Menschen im Wasser läßt freilich, das
haben die Forschungen von Schwenn* 1 gezeigt, verschiedene Aus-
legung zu. Gewiß ist es eine Hinrichtungsart, die ein möglichst
rasches und spurloses Verschwinden eines mißliebigen Daseins be-
zweckt. Nicht nur Verbrecher werden durch Ertränken aus der
Welt geschafft2, sondern überhaupt Existenzen, deren völlige Til-
gung im Interesse der Allgemeinheit gefordert wird; das Schicksal
der Agnes Bernauer hat seine Parallelen schon im Altertum. Vor
allem jedoch haben Aberglauben und Geisterfurcht zur Anwendung
dieser grausamen Bräuche geführt. Am Frühlingsfest der Nerthus,
der germanischen Terra mater, werden die Sklaven, die bei der Vor-
bereitung und Durchführung der Prozession dienend Hand ange-
legt, den Wagen der Göttin im heiligen See gebadet haben, nach
Abschluß der Feier ebendort ertränkt3. Schon hier finden wir die
Beseitigung eines Gefahrenmoments mit der Idee von Sühne und
Opfer vermengt. In anderen Fällen tritt letztere rein und unver-
kennbar zutage: so bei der Gründung von Met hymna, wo die Gunst
des Meergottes durch das Versenken einer Jungfrau in die Fluten
erkauft worden sein soll4. So auch, wenn die Einwohner von Argos
zu demselben Zweck lebende Menschen ins Meer werfen; wenn
Sextus Pompeius, der Sohn des Triumvirn, dem Poseidon, als
dessen Sproß er sich rühmt, Pferde und Menschen auf solche Weise
229f.; scheinbares Köpfen im Kult, als Ablösung eines tatsächlich stattgefunde-
nen Menschenopfers Almgren, Felszeichnungen 125f. Über den Brauch des
Maschalismos (Verstümmeln der Toten) W. Kroll u. Boehm, RE. XIV 260
bis 262. Über Menschenopfer jetzt Schwenn, RE. XV 948ff.; Ebert RV.
VIII 143—154; Groh. Sacrifici umani nell’antica religione romana, Atlie-
naeum N. S. 11, 1933, 240—249.
1 Schwenn, Menschenopfer, RGW. 15, 3; 1915, 29 u. öfter (s. unten).
2 In Attika z. B. Landesverräter, die im Heimatboden keine Ruhestätte
finden durften. Dieterich, Mutter Erde2 52: „Wer in der Heimaterde nicht ge-
borgen wird, dem gibt die Erdmutter keinerlei neues Leben“.
3 Tacitus, Germania 40. Vgl. hierzu Schwenn, a. O. 33ff.; Fehrle, Ta-
citus Germania 101 ff.; Almgren, Felszeichnungen 53, mit weiteren Beispielen
von Ertränkungszeremonien.
4 Schwenn, a. O. 127 u. RE. XV 53.
 
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