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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 2. Abhandlung): Vier Predigten im Geiste Eckharts — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41989#0093
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4. Ubi est qui natus est rex ludaeorum (n. 6—9).

93

Ruhe, welche Gott ist. Denn wer auf das Zusammenfallen von
Ursprung und Endziel achtet, und darauf, daß in dem absoluten
Ruhepunkt Ausgangs- und Endpunkt zusammenfallen, der sieht
die Wahrheit dieses Satzes.
7. So ist es auch mit der Zahl. Denn die Zahl schreitet von
dem Einen zum Einen fort, und man kann kein anderes Sein der
Zahl finden als das Eine, auch gibt es nicht mehrere Eines, son-
dern nur ein Eines. Die Einheit also, welche auch die Seinsheit
oder das Wesen ist, ist eine, und sie ist der Ursprung und
das Endziel und der Ort aller Wesen oder jeder zähl-
baren Zahl. Insofern also Gott die Wesenheit der zählbaren
Dinge ist, wird er die Seinsheit oder die Einheit genannt oder der
eine Gott, der seine Einheit ist.
S. So ist das folgernde Denken die vernünftige Be-
wegung des Geistes von der Wahrheit zur Wahrheit, und
es gibt nur eine Wahrheit, und Gott wird die Wahrheit genannt,
weil er die Ruhe oder der Ort der schlußfolgernden Vernunft oder
des diskursiven Verstandes ist.
In ähnlicher Weise sollst du es dir auch bei den anderen Din-
gen klarmachen, dann wirst du in der Vielfalt der Namen nur den
einen Gott als Ort und Ruhe von allem finden: er ist der Ursprung,
der mit dem Endziel aller Geschöpfe zusammenfällt. Bei diesen
Redeweisen muß man sich aber immer davor hüten zu glauben,
die Bestimmungen seien genau, wenn wir von dem Unaussprech-
lichen reden.
9. Nun sagte Paulus, daß wir in Gott sind und uns in ihm
bewegen; denn wir sind Pilger. Der Pilger hat aber seinen Namen
und sein Sein vom Wege1. Wird nun ein Pilger, der auf einem
unendlichen Wege wandelt oder sich fortbewegt, gefragt, wo er
sei, so antwortet er: auf dem Wege. Und wird er gefragt, wo er
sich bewegt, so erfolgt die Antwort: auf dem Wege. Und wird er
gefragt, woher er sich bewegt, so heißt es: von dem Wege. Und
wird er gefragt, wohin er strebt, so heißt es: von dem Wege zu
dem Wege. Auf diese Weise läßt sich der unendliche Weg
als der Ort des Pilgers bezeichnen, und dies ist Gott.
Daher ist der Weg, außer dem kein Pilger zu finden ist, jenes Sein
ohne Anfang und ohne Ende, von dem der Pilger all das ist und
1 Das Wortspiel „viator — via“ läßt sich im Deutschen nicht nach-
ahmen.
 
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