6
Hermann Ranke:
deren unterscheidende — Bezeichnung eines bestimmten Menschen
sein soll, nicht ein auf diesen bezogenes Attribut enthält, sondern
einen ganzen Satz, ist eine für das Empfinden der europäischen
Völker so unerhörte Gewohnheit, daß man sich wundern muß, wie
wenig unsere Namenforscher bisher über diese merkwürdige Tat-
sache sich gewundert haben.
Freilich hätte man dieses von unseren Gewohnheiten völlig
Abweichende wohl eher als fremd und erklärungsbedürftig emp-
funden, wäre man nicht vom Hebräischen her an Satznamen wie
Mikael (Michael) „Wer ist wie Gott“?, Immanuel „Gott ist mit
uns“ und viele andere seit alters gewöhnt gewesen* 1. Auch aus an-
deren Sprachen des vorderen Orients, vor allem aus dem Baby-
lonisch-assyrischen2, dem Südarabischen3 und Aramäischen4 sind
Namen der gleichen Bildungsart in großer Menge bekannt gewor-
den. Wir erkennen also eine Gruppe von Völkern, in der die Ägypter
sich mit den Semiten des alten Orients zusammenschließen, und
deren Personennamen ■— neben attributiven Bildungen, die sie alle
auch besitzen —- zum großen Teil die Form eines Satzes aufweisen.
Die Frage erhebt sich: Wie ist diese Satzform zu erklären? Ich
beschränke mich dabei im Folgenden zunächst auf die ägyptischen
Satznamen.
insfeld, Stelldichein, Tunichtgut; französisch vaurien, portemanteau, garderobe,
chassemouche, pisenlit; italienisch spazzacammino, guastamestieri, portaba-
gaglio; englisch pickpocket, breakfast, spendthrift, stay at home, und vgl. die
eingehende Untersuchung von A. Darme steter, Tratte de la formation des
mots composes dans la langue frangaise, 2. Aufl. 1894, S. 168—234) — offenbar
als selbständige europäische Neubildungen aufzufassen.
1 Über die hebräischen Personennamen vgl. jetzt die grundlegenden
Untersuchungen von M. Noth, Die israelitischen Personennamen im Rahmen
der gemeinsemitischen Namengebung, Stuttgart 1928.
2 Vergl. H. Ranke, Early Babylonian PersonalNames, Philadelphia 1905.
K. Tallqvist, Neubabylon. Namenbuch, Helsingfors 1905. B. Gemser, De be-
teekenis der persoonsnamen voor onze kennis van het leven en denken der
oude Babyloniers en Assyriers, Wageningen 1924.
3 Vgl. Fr. Hommel, Südarabische Chrestomathie (1893), S. 129—136.
M. Hartmann, Die arabische Frage (1909), S. 211 ff. G. Ryckmans, Les noms
propres sud - semitiques, Louvain 1934—1935. — Bei den altnordarabischen
Personennamen liegen nur noch Verkürzungen solcher alten Satznamen vor,
vgl. H. H. Bräu, Die altnordarabischen kultischen Personennamen (WZKM 32
[1925]), S. 37.
4 Vgl. W. Goldmann, Die palmyrenischen Personennamen (Breslauer
Dissertation), Leipzig 1935.
Hermann Ranke:
deren unterscheidende — Bezeichnung eines bestimmten Menschen
sein soll, nicht ein auf diesen bezogenes Attribut enthält, sondern
einen ganzen Satz, ist eine für das Empfinden der europäischen
Völker so unerhörte Gewohnheit, daß man sich wundern muß, wie
wenig unsere Namenforscher bisher über diese merkwürdige Tat-
sache sich gewundert haben.
Freilich hätte man dieses von unseren Gewohnheiten völlig
Abweichende wohl eher als fremd und erklärungsbedürftig emp-
funden, wäre man nicht vom Hebräischen her an Satznamen wie
Mikael (Michael) „Wer ist wie Gott“?, Immanuel „Gott ist mit
uns“ und viele andere seit alters gewöhnt gewesen* 1. Auch aus an-
deren Sprachen des vorderen Orients, vor allem aus dem Baby-
lonisch-assyrischen2, dem Südarabischen3 und Aramäischen4 sind
Namen der gleichen Bildungsart in großer Menge bekannt gewor-
den. Wir erkennen also eine Gruppe von Völkern, in der die Ägypter
sich mit den Semiten des alten Orients zusammenschließen, und
deren Personennamen ■— neben attributiven Bildungen, die sie alle
auch besitzen —- zum großen Teil die Form eines Satzes aufweisen.
Die Frage erhebt sich: Wie ist diese Satzform zu erklären? Ich
beschränke mich dabei im Folgenden zunächst auf die ägyptischen
Satznamen.
insfeld, Stelldichein, Tunichtgut; französisch vaurien, portemanteau, garderobe,
chassemouche, pisenlit; italienisch spazzacammino, guastamestieri, portaba-
gaglio; englisch pickpocket, breakfast, spendthrift, stay at home, und vgl. die
eingehende Untersuchung von A. Darme steter, Tratte de la formation des
mots composes dans la langue frangaise, 2. Aufl. 1894, S. 168—234) — offenbar
als selbständige europäische Neubildungen aufzufassen.
1 Über die hebräischen Personennamen vgl. jetzt die grundlegenden
Untersuchungen von M. Noth, Die israelitischen Personennamen im Rahmen
der gemeinsemitischen Namengebung, Stuttgart 1928.
2 Vergl. H. Ranke, Early Babylonian PersonalNames, Philadelphia 1905.
K. Tallqvist, Neubabylon. Namenbuch, Helsingfors 1905. B. Gemser, De be-
teekenis der persoonsnamen voor onze kennis van het leven en denken der
oude Babyloniers en Assyriers, Wageningen 1924.
3 Vgl. Fr. Hommel, Südarabische Chrestomathie (1893), S. 129—136.
M. Hartmann, Die arabische Frage (1909), S. 211 ff. G. Ryckmans, Les noms
propres sud - semitiques, Louvain 1934—1935. — Bei den altnordarabischen
Personennamen liegen nur noch Verkürzungen solcher alten Satznamen vor,
vgl. H. H. Bräu, Die altnordarabischen kultischen Personennamen (WZKM 32
[1925]), S. 37.
4 Vgl. W. Goldmann, Die palmyrenischen Personennamen (Breslauer
Dissertation), Leipzig 1935.