Metadaten

Honecker, Martin; Johannes; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 2. Abhandlung): Nikolaus von Cues und die griechische Sprache — Heidelberg, 1938

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41994#0049
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Cusanus-Studien: II. Nikolaus von Cues und die griechische Sprache. 41
43. Nicolaus Cusanus unternimmt auch einmal die Ableitung eines lateini-
schen Wortes aus dem Griechischen: Das lateinische unitas soll einem
griechischen Worte ώντας = entitas entstammen: Unitas dicitur quasi
ώντας ab ών graece, quod latine ens dicitur, et est unitas quasi entitas.
De docta ign. 18 — C 218 4V: ώντας ab ων; a 175r: Für die beiden
griechischen Wörter sind Lücken gelassen, die nicht ausgefüllt wor-
den sind; p I 3V: ontitas ab on; b 6: ontitas ab ov; h I 17, 6 (vgl.
App.). Siehe auch: Ebd. I 2 [h 7, 6); Fred. „Dies sanctificatus“
(Augsburg 1439), CT I 1 14, 18; Pred. „Ubi est qui natus est rex
Iudaeorum“ (Brixen 1456), CT I 2/5 92, 6—10.
Wenn wir nunmehr diese Ableitungsversuche beurteilen wollen,
wird eine gewisse Vorsicht am Platze sein. Nicht nur das Mittel-
alter, sondern auch noch die Renaissance hat sehr seltsame Ety-
mologien sowohl für lateinische als auch erst recht für griechische
Wörter geliefert. Eine falsche Etymologie braucht zunächst nicht
mehr zu bezeugen als das Fehlen einer tieferen philologischen
Bildung, während eine geläufige Sprachbeherrschung daneben
wohl bestehen kann. Immerhin können mit etymologischen Ablei-
tungsversuchen noch Nebenerscheinungen verbunden sein, die den-
noch einen Rückschluß auf die eigentlichen Sprachkenntnisse zu-
lassen. Anderseits ist gerade gegenüber Etymologien, seien sie
richtig oder falsch, zu bedenken, daß sie manchmal wohl gar nicht
dem betreffenden Autor zuzuschreiben sind, sondern einer unbe-
sehen hingenommenen Tradition entstammen mögen.
Die von Nicolaus Cusanus versuchte Ableitung von άγιος
(Nr. 36) wurde erst dadurch möglich, daß die dem griechischen
Worte eigentümliche Aspiration weggelassen wurde (darüber siehe
weiter unten). Wenn der Cusaner nun das so übrig bleibende Wort-
bild agios als sine terra sive terrena affectione deutete, so ist zwar
diese Ableitung infolge des ersten Fehlers in der Wurzel bereits
falsch. Doch verrät der Versuch, daß Cusanus an eine Zusammen-
setzung aus α privativum und γή dachte — eine allerdings auch
unter der gemachten Voraussetzung unmögliche Ableitung121. Im-
merhin zeigt sich, daß Nikolaus von Cues um die Funktion des
α privativum wußte.
Dasselbe beweist seine Deutung von ’Άτροπος (Nr. 39). Ferner
hat der Cusaner hier richtig gesehen, daß das Verbum τρέπειν -
wertere im Spiele ist. Dennoch ist die Übersetzung sine conversione
(statt etwa sine conversibilitate oder inconvertibilis) zum mindesten
121 Die zutreffende Ableitung geht von dem Stamme άγ aus, der auch
in άζειν (= scheuen, verehren) enthalten ist.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften