Omnis ecclesia Petri propinqua.
15t
Verständnis der derivatio potestatis im Edikte des Kallist in
dynamisch-orendistischem Sinne eines Überströmens göttlichen
Kraft sich einem gängigen Vorstellungskomplex einfügen würde,
soweit es den allgemeinen Rahmen anlangt. Mehr zunächst noch
nicht.
Die überströmende Kraft ist von Petrus als ihrem Träger auf
Kallist als ihren Empfänger übergegangen. Kallist ist der auf
Erden schaltende und waltende Bischof von Rom, Petrus, hinter
dem als die letzte göttliche Kraftquelle „der Herr“ steht, ist längst
verstorben, aber in der ihm verliehenen δύναμις (potestas) noch
wirkungskräftig — wo ist diese für einen Tertullian unerhörte Vor-
stellung einzustellen? Antwort: im antiken Heroenkult. Dort ist
sie nicht nur nicht singulär, sondern heimisch. Der Heros ist in
ein höheres Geistesleben eingetreten, besitzt δύναμις ισόθεος, θεία
δύναμις, was aber nicht dasselbe ist wie άθανασία55, er gehört einer
auserwählten Minderheit an, er ist Schützer und Helfer (σωτήρ),
dank seiner eigentümlichen Kraft. Für die Heroen gilt in beson-
derem Sinne das Wort Platos06: αί των τελευτησάντων ψυχαί δύναμιν
έχουσί τινα τελευτήσασαι, ή των κατ’ άνθρώπους πραγμάτων επιμελούνται..
Und zwar verdankt das der Heros einer ganz besonderen, schon im
Leben irgendwie betätigten Kraft und Tugend. Diese Kraft und
Tugend geht dem Verstorbenen gleichsam nach und wirkt sich dyna-
misch aus57 als δύναμις ύπερβάλλουσα58; dadurch ist der Heros un-
mittelbare lebendige Gegenwart, der seine Kraft, sein Orenda, den
Überlebenden zu übertragen fähig ist. Bei diesen herrscht die Ge-
wißheit, daß die Verstorbenen nicht άμεμηνά κάρηνα sind, vielmehr
für die Ihrigen sorgen59. Die Heroen sind χρηστοί60. Wenn man sie
entsprechend ehrt; im anderen Falle wirkt ihre Dynamis unheil-
55 E. Rohde: „Psyche“, 1894, 76, Anm. 1, entsprechend in den spä-
teren Auflagen.
56 Leg. II, 927 A. bei Rohde 231 Anm., auch bei F. Pfister: „Der
Reliquienkult im Altertum“ II, 1912, 52. Oder Philcstratus, Herde. 135
(Kayser): die Seelen μαντικής σοφίας έμψοροΰνται και τδ χρησμωδες αύταΐς
έμβακχεύει. Zur Sache vgl. auch H. Gutscher: „Die attischen Grabschiiften“
II, 1890, 35.
57 E. Bethe : „Ahnenbild und Familiengeschichte bei Römern und Grie-
chen“, 1935, 21, 25, 29, 35.
58 Pfister I, 1909, 380.
59 Jul. Wassner: „De heroum apud Graecos cultu“, 1883, 41. Bei-
spiele für die Wunderkraft der Heroen hei P. Foucart: „Le culte des höros
chez les Grecs“ (V6moires de l’institut nationale de France 42, 1922, 64f.)_
60 Furtwängler s. u. S. 24, Anm. 113, 20.
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Verständnis der derivatio potestatis im Edikte des Kallist in
dynamisch-orendistischem Sinne eines Überströmens göttlichen
Kraft sich einem gängigen Vorstellungskomplex einfügen würde,
soweit es den allgemeinen Rahmen anlangt. Mehr zunächst noch
nicht.
Die überströmende Kraft ist von Petrus als ihrem Träger auf
Kallist als ihren Empfänger übergegangen. Kallist ist der auf
Erden schaltende und waltende Bischof von Rom, Petrus, hinter
dem als die letzte göttliche Kraftquelle „der Herr“ steht, ist längst
verstorben, aber in der ihm verliehenen δύναμις (potestas) noch
wirkungskräftig — wo ist diese für einen Tertullian unerhörte Vor-
stellung einzustellen? Antwort: im antiken Heroenkult. Dort ist
sie nicht nur nicht singulär, sondern heimisch. Der Heros ist in
ein höheres Geistesleben eingetreten, besitzt δύναμις ισόθεος, θεία
δύναμις, was aber nicht dasselbe ist wie άθανασία55, er gehört einer
auserwählten Minderheit an, er ist Schützer und Helfer (σωτήρ),
dank seiner eigentümlichen Kraft. Für die Heroen gilt in beson-
derem Sinne das Wort Platos06: αί των τελευτησάντων ψυχαί δύναμιν
έχουσί τινα τελευτήσασαι, ή των κατ’ άνθρώπους πραγμάτων επιμελούνται..
Und zwar verdankt das der Heros einer ganz besonderen, schon im
Leben irgendwie betätigten Kraft und Tugend. Diese Kraft und
Tugend geht dem Verstorbenen gleichsam nach und wirkt sich dyna-
misch aus57 als δύναμις ύπερβάλλουσα58; dadurch ist der Heros un-
mittelbare lebendige Gegenwart, der seine Kraft, sein Orenda, den
Überlebenden zu übertragen fähig ist. Bei diesen herrscht die Ge-
wißheit, daß die Verstorbenen nicht άμεμηνά κάρηνα sind, vielmehr
für die Ihrigen sorgen59. Die Heroen sind χρηστοί60. Wenn man sie
entsprechend ehrt; im anderen Falle wirkt ihre Dynamis unheil-
55 E. Rohde: „Psyche“, 1894, 76, Anm. 1, entsprechend in den spä-
teren Auflagen.
56 Leg. II, 927 A. bei Rohde 231 Anm., auch bei F. Pfister: „Der
Reliquienkult im Altertum“ II, 1912, 52. Oder Philcstratus, Herde. 135
(Kayser): die Seelen μαντικής σοφίας έμψοροΰνται και τδ χρησμωδες αύταΐς
έμβακχεύει. Zur Sache vgl. auch H. Gutscher: „Die attischen Grabschiiften“
II, 1890, 35.
57 E. Bethe : „Ahnenbild und Familiengeschichte bei Römern und Grie-
chen“, 1935, 21, 25, 29, 35.
58 Pfister I, 1909, 380.
59 Jul. Wassner: „De heroum apud Graecos cultu“, 1883, 41. Bei-
spiele für die Wunderkraft der Heroen hei P. Foucart: „Le culte des höros
chez les Grecs“ (V6moires de l’institut nationale de France 42, 1922, 64f.)_
60 Furtwängler s. u. S. 24, Anm. 113, 20.