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Bohnenstädt, Elisabeth; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 1. Abhandlung): Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41996#0019
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Cusanus-Studien: III. Kirche u. Reich i. Schrifttum des Nikolaus von Cues. 9

Kommt Thomas, in heutigen Ausdrücken zu reden, auf das
gegenseitige Verhältnis von Staat und Kirche zu sprechen, dann
zumeist in der Berührung des Verhältnisses von staatlichen zu
kirchlichen Leitern. So lag es ja allgemein der mittelalterlichen
Auffassung von der Organisations-Vertretung*) durch die Führen-
den und der damit zusammenhängenden ausgeprägten Stände-
ordnung nahe. Schon in dieser Auffassung kündet sich die ganze
leibhaftige Verwobenheit von 'Reich und Kirche’ an. Man kann
für das christliche Mittelalter allgemein nicht von 'Staat und Kirche’
gemäß heute vielen näherliegender Begriffsumschreibung reden, als
ob es sich um zwei greifbar je in sich selbst geschlossene Einzel-
dinge handle, von denen das eine ohne das andere - etwa umso
besser — zu seiner eigentlichen Verwirklichung gelangen könne.
Wenn dann der Meister kritischer Zerlegung und zweckbestimmten
Wiederverbindens von Staatlichem und Kirchlichem spricht, dann
handelt es sich nicht sowohl um eine existentia! scheidende Ab-
hebung als um im Grunde mehr theologisch-moralische Unterschei-
dung der verschieden verteilten Aufgaben und Pflichtenerledigun-
gen unter den Ständen des Christenvolkes Europas. — Thomas
gab eine Gebietsunterscheidung und Einordnung für 'Staat’ und
'Kirche’, wie sie zwar aus einem zeitgelösten, theologischen Denken
diktiert und doch aus seiner Zeit und in sie hinein gesprochen wurde.
Sie ist in seiner hierarchischen Allbetrachtung umschlossen. Hierin
entspricht der kosmischen Stufenordn ung von natura, gratia, gloria
im Verwirklichungsbereich Staat, streitende Kirche auf Erden,
triumphierende Kirche im Himmel. Damit ist zunächst allgemein
die im christlichen Mittelalter von allen bejahte geistige Höher-
ordnung religiöser Belange über Weltbezogenes ausgesprochen; und
von dieser Ordnung her umgrenzen sich für Thomas im wesent-
lichen auch bei den im einzelnen deutenden Folgerungen die Be-
griffe von 'Staat’ (Staaten) und 'Kirche’. Diese Wirklichkeiten be-
trachtet er nicht sowohl in ihren geschichtlichen Werdens- und Er-
scheinungsformen, nicht sowohl, jedenfalls nicht eigentlich gewollt,
in der individuellen Eigenart augenblicklichen Verwirklichungs-
versuches, sondern vielmehr als Typ und Norm, wie sie von ihren
Begründungen her bestimmt sind. Ausgangspunkt für die Staats-
*) Für germanisches und altdeutsches Gemeinschaftsempfinden ging es
mehr um eine Organismusvertretung; doch war vom Spätrömischen, staat-
lich und kirchlich gesehen, solches Empfinden auch im deutschen Reiche
geschwächt worden.
 
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