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Elisabeth Bohjnenstädt:
sich erst selbst herangestaltenden Abendland einerseits die Mäch tig-
keit des Kirchengedankens — hauptsächlich religiös, in etwa als
auch den politischen Aufbau regelnde Leitung gesehen — das Über-
gewicht. Andererseits war des Papstes Dank und Anerkennung,
als Leo III. die führende Rolle der römischen Erwählung und die
eigenmächtige Weihe und Krönung Karls des Großen zum Könige
der Römer und weströmischen Kaiser an sich nahm, zugleich ein
Akt römischer Diplomatie. Der in dieser Weise erhobene Kaiser
war um so mehr der machtbewehrte imperiale Vorkämpfer und
Schützer der Christenheit, der Kirche, die als solche nicht selbst
die Kampf- und Schutzmittel besaß. Dem eigentlichen germanisch-
deutschen Führertum in Europa wurde teils auch durch diese vor-
weggenommene Scheinvollendung und -Überspitzung mit ihrer poli-
tischen Bindung an Rom Blick, Freiheit und Krafteinsatz für die
naturgemäße Erfüllung seines politischen Weges, für politische Ver-
wirklichung und Ausformung in einem von ihm politisch ergriffenen
Raum, gehemmt und behindert. Wohl war Karl der Große wie
noch mancher Kaiser nach ihm in der Tat kraftvoll alleiniger Herr-
scher in einem fast theokratischen Imperium. Doch gerade weil
die großen deutschen Kaiser im allgemeinen die christliche Impe-
rialidee so aid'faßten, als sei mit ihr die Forderung einer nicht
weltreichsüchtigen, sondern mehr überpolitischen, überstaatlichen,
einer mehr geistigen, fast sogar und nur meta-physischen Führer-
stellung gegeben, wurde durch sie eine wirkliche imperiale Herrsch-
gewalt nicht sowohl gestützt und gefördert als mehr und mehr von
dem eigentlichen Herrscher gelöst und andern zur Beute preisgegeben.
Es kann zwar nicht übersehen werden, wie sich durch die christlich-
imperiale Idee das Kaisertum der deutschen Könige im Abendlande
weitgehend als deutsches Kaisertum auswirkte, wie dies christ-
liche deutsche Kaisertum auch das verschiedene königliche und
herzogliche kulturelle und in engerem Sinne politische Vordringen,
Besitzergreifen, Einbauen zum werdenden Deutschland hin ermäch-
tigte und befähigte. Aber je mehr wohl der einst gesäte Same zur
Frucht eines 'deutschen Landes’ reifte, desto weniger war es ein
kaiserliches Deutschland, das auch umso eher im christlichen Abend-
land kaiserlich hätte stehen und wirken können, um so mehr ver-
sagte nicht nur durch römische und andere von außen kommende
Gegenwirkung auch das deutsche Volk in der fast übermenschlichen
Aufgabe, die sich aus seiner Verfassung ergab. Vernachlässigten
schon in früheren Zeiten gerade manche starke 'Pfleger des Erden-
Elisabeth Bohjnenstädt:
sich erst selbst herangestaltenden Abendland einerseits die Mäch tig-
keit des Kirchengedankens — hauptsächlich religiös, in etwa als
auch den politischen Aufbau regelnde Leitung gesehen — das Über-
gewicht. Andererseits war des Papstes Dank und Anerkennung,
als Leo III. die führende Rolle der römischen Erwählung und die
eigenmächtige Weihe und Krönung Karls des Großen zum Könige
der Römer und weströmischen Kaiser an sich nahm, zugleich ein
Akt römischer Diplomatie. Der in dieser Weise erhobene Kaiser
war um so mehr der machtbewehrte imperiale Vorkämpfer und
Schützer der Christenheit, der Kirche, die als solche nicht selbst
die Kampf- und Schutzmittel besaß. Dem eigentlichen germanisch-
deutschen Führertum in Europa wurde teils auch durch diese vor-
weggenommene Scheinvollendung und -Überspitzung mit ihrer poli-
tischen Bindung an Rom Blick, Freiheit und Krafteinsatz für die
naturgemäße Erfüllung seines politischen Weges, für politische Ver-
wirklichung und Ausformung in einem von ihm politisch ergriffenen
Raum, gehemmt und behindert. Wohl war Karl der Große wie
noch mancher Kaiser nach ihm in der Tat kraftvoll alleiniger Herr-
scher in einem fast theokratischen Imperium. Doch gerade weil
die großen deutschen Kaiser im allgemeinen die christliche Impe-
rialidee so aid'faßten, als sei mit ihr die Forderung einer nicht
weltreichsüchtigen, sondern mehr überpolitischen, überstaatlichen,
einer mehr geistigen, fast sogar und nur meta-physischen Führer-
stellung gegeben, wurde durch sie eine wirkliche imperiale Herrsch-
gewalt nicht sowohl gestützt und gefördert als mehr und mehr von
dem eigentlichen Herrscher gelöst und andern zur Beute preisgegeben.
Es kann zwar nicht übersehen werden, wie sich durch die christlich-
imperiale Idee das Kaisertum der deutschen Könige im Abendlande
weitgehend als deutsches Kaisertum auswirkte, wie dies christ-
liche deutsche Kaisertum auch das verschiedene königliche und
herzogliche kulturelle und in engerem Sinne politische Vordringen,
Besitzergreifen, Einbauen zum werdenden Deutschland hin ermäch-
tigte und befähigte. Aber je mehr wohl der einst gesäte Same zur
Frucht eines 'deutschen Landes’ reifte, desto weniger war es ein
kaiserliches Deutschland, das auch umso eher im christlichen Abend-
land kaiserlich hätte stehen und wirken können, um so mehr ver-
sagte nicht nur durch römische und andere von außen kommende
Gegenwirkung auch das deutsche Volk in der fast übermenschlichen
Aufgabe, die sich aus seiner Verfassung ergab. Vernachlässigten
schon in früheren Zeiten gerade manche starke 'Pfleger des Erden-