Cusarius Studien: III. Kirche u. Reich i. Schrifttum des Nikolaus von Gues. 113
Durch alles Klären, Weisen und Mahnen des Nikolaus v. Gues
in Kirche und Reich hinein geht die Forderung nach rechter Ord-
nung, nach Vernunft- und glaubensgetragener Zusammenstimmung,
nach der Einheit aller in all ihrer Vielfalt, die allein wahre Gemein-
schaft aufbaut und erhält. Diese Einheit und Einigung sieht er
christlich und volkhaft, ln ihr zeigt sich letztlich die Hineinbindung
aller Weltwirklichkeit, sowohl der Kirche wie des Reiches, in die
Überwirklichkeit Gottes, in der alle Verschiedenheit, ja Gegensätz-
lichkeit nicht nur gefriedet ist, sondern zusammenfällt. Gott in sich
zwar, die absolute einigende Einheit, fassen wir nicht. In Christus
aber, dem Worte Gottes, ist uns die Einung ermöglicht und ge-
wiesen. So ist für unsere Erfassungskraft das ursprunghafte Ein-
heitsziel die dem innersten Menschenwesen aufgegebene Verwirk-
lichung der Gemeinschaft aus und in und zu ecclesia ipsa. Das 'aus’
umschließt als Entfaltungsgesetzlichkeit: ausfaltende Einfaltung
(complicatio explicans), deren LebensfüJie und Lebensmittelpunkt
im Geheimnis des Zusammenfalls des Gegensätzlichen (coincidentia
oppositorum) 'unberührenderweise berührt’ wird; das 'in’: die füh-
rend zusammenfassende, umschließende Darstellung und Vertre-
tung (figuratio und repraesentatio) aller durch den Einenden und
das freie, vernunfthaft gegebene und willensbestimmte Ja der zu
Einenden ; das 'zu’: die vollendete Einung in gegenseitiger Bezogen-
heit, in allgemeiner, allumfassender Eintracht aller möglichen und
voll entfalteten Vielfalt (concordantia catholica, welche unitas in
diversitate ist), ln ecclesia ipsa, von ihrer Entfaltungsgesetzlichkeit
auch im eigenen Aufbau bestimmt, haben sowohl die erscheinungs-
hafte Kirche wie das Reich ihren gemeinsamen Ursprung wie ihren
gesonderten, jeweils eigenen Bestand. Das Reich gewinnt diesen
Selbstand in dem der vernunfthaften Menschennatur als solcher
von ihrem Ursprünge her mitgegebenen Auftrag, die Kirche in der
durch die Sünde der Menschen notwendig gewordenen zurück-
rufenden Erlösungsgnade Christi. Bei aller Besonderheit aber bei-
der Gemeinschaftsumfassungen denkt sich Cusanus für seine eigene
Zeit und deren Fortführung die eine nicht ohne die andere. Und
in der Vermittlung von Christi Worten und Wirken steht die Kirche
nach wie vor in höherer, leitender Ordnung. In der Abgrenzung
ist immer noch öfter von Papst und Kaiser als von Kirche und
Reich die Rede; doch sind Sicht und Haltung weit mehr politisch
als etwa bei Thomas von Aquin. Ist auch sonst mancher Zusam-
menhang mit dem Aquinaten deutlich, so wird doch mehrfach das
3 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1938/39. 3. Abh.
Durch alles Klären, Weisen und Mahnen des Nikolaus v. Gues
in Kirche und Reich hinein geht die Forderung nach rechter Ord-
nung, nach Vernunft- und glaubensgetragener Zusammenstimmung,
nach der Einheit aller in all ihrer Vielfalt, die allein wahre Gemein-
schaft aufbaut und erhält. Diese Einheit und Einigung sieht er
christlich und volkhaft, ln ihr zeigt sich letztlich die Hineinbindung
aller Weltwirklichkeit, sowohl der Kirche wie des Reiches, in die
Überwirklichkeit Gottes, in der alle Verschiedenheit, ja Gegensätz-
lichkeit nicht nur gefriedet ist, sondern zusammenfällt. Gott in sich
zwar, die absolute einigende Einheit, fassen wir nicht. In Christus
aber, dem Worte Gottes, ist uns die Einung ermöglicht und ge-
wiesen. So ist für unsere Erfassungskraft das ursprunghafte Ein-
heitsziel die dem innersten Menschenwesen aufgegebene Verwirk-
lichung der Gemeinschaft aus und in und zu ecclesia ipsa. Das 'aus’
umschließt als Entfaltungsgesetzlichkeit: ausfaltende Einfaltung
(complicatio explicans), deren LebensfüJie und Lebensmittelpunkt
im Geheimnis des Zusammenfalls des Gegensätzlichen (coincidentia
oppositorum) 'unberührenderweise berührt’ wird; das 'in’: die füh-
rend zusammenfassende, umschließende Darstellung und Vertre-
tung (figuratio und repraesentatio) aller durch den Einenden und
das freie, vernunfthaft gegebene und willensbestimmte Ja der zu
Einenden ; das 'zu’: die vollendete Einung in gegenseitiger Bezogen-
heit, in allgemeiner, allumfassender Eintracht aller möglichen und
voll entfalteten Vielfalt (concordantia catholica, welche unitas in
diversitate ist), ln ecclesia ipsa, von ihrer Entfaltungsgesetzlichkeit
auch im eigenen Aufbau bestimmt, haben sowohl die erscheinungs-
hafte Kirche wie das Reich ihren gemeinsamen Ursprung wie ihren
gesonderten, jeweils eigenen Bestand. Das Reich gewinnt diesen
Selbstand in dem der vernunfthaften Menschennatur als solcher
von ihrem Ursprünge her mitgegebenen Auftrag, die Kirche in der
durch die Sünde der Menschen notwendig gewordenen zurück-
rufenden Erlösungsgnade Christi. Bei aller Besonderheit aber bei-
der Gemeinschaftsumfassungen denkt sich Cusanus für seine eigene
Zeit und deren Fortführung die eine nicht ohne die andere. Und
in der Vermittlung von Christi Worten und Wirken steht die Kirche
nach wie vor in höherer, leitender Ordnung. In der Abgrenzung
ist immer noch öfter von Papst und Kaiser als von Kirche und
Reich die Rede; doch sind Sicht und Haltung weit mehr politisch
als etwa bei Thomas von Aquin. Ist auch sonst mancher Zusam-
menhang mit dem Aquinaten deutlich, so wird doch mehrfach das
3 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1938/39. 3. Abh.