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Bohnenstädt, Elisabeth; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 1. Abhandlung): Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41996#0142
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Elisabeth Bohnenstädt:

132
Reich Gottes. — Hier wie öfter ist auch durchsichtig, warum und wie für
Cusanus nicht, wie für manche andere reformatorische Lehrer, 'eigentliche
Kirche’ etwas von der vermutungshaften Kirche Abgesondertes, ein anderer
Selbstand ist als 'erscheinungshafte Kirche’ oder das 'Reich’; sie ist vielmehr
deren innerster Sinn, die Wahrheit und innere Frömmigkeit der Menschen, die
hier wirklich 'Reich’ und 'Kirche’ aufbauen.
68 Exc. V 502/03; C.C. I UI 696; III Pr. 779, V 787, VII 788.
In Weiterführung des vorherigen Gedankens schaut Cusanus auch vom
Menschen aus die menschliche Herrschaft selbst und menschliches Bemühen
um rechte Reichs- und Herrschaftserfüllung als in ganz eigener und eigent-
licher Weise im Königtum Christi verwurzelt an, ihm unterstehend und sich
ihm unterstellend. Bei solcher Auffassung sieht er auch den Religionsversuch
in außerchristlichen Reichen, von solchen getragen und vertreten, als mögliche
AVeise echter Bindung an Gott. Und es wird allgemein zwischen Reichsbezirk
und religiösem Bezirk in ihrem Grundsätzlichen und Wesentlichen keine Kluft
gesehen — was nicht etwa einer Vermischung von weltlicher und geistlicher
Gewalt im christlichen Reich gleichkommt.
69 C.C. III Pr. 779, V 787, VI 787, VII 788/89.
In der positiven Stellung zum 'natürlichen’ Kosmos, die sich unwillkür-
lich und vor allem der natürlichen Veranlagtheit (der geistigen Natur) des
Menschen auf ihr Ziel hin bewußt ist, ist es auch nur natürliche Konsequenz,
im christlichen Kaiser das nächstkommende Abbild des herrschenden Chri-
stus zu betonen, ln der Anschauung der höchsten Würde und Macht des Kai-
ers hört in gewisser Weise die Parallelsetzung von Kirchlichem und Welt-
lichem, kirchlicher Leitungsgewalt und weltlicher Herrschaft auf. Letztlich
ist das vollendete, das christliche Reich 'nur’ der Leib der Kirche. Das Wesent-
liche jedoch in der erscheinungshaften Kirche ist sacramentum und vertreten-
der Dienst im sacerdotium (wenn auch vermittels dieses Dienstes jede Einung
zu ihrer übernatürlichen Vollendung, die ganze Schöpfung zu ihrer überirdi-
schen Krönung und Verherrlichung geführt werden soll); das Wesentliche im
Reiche hingegen ist gerade die natürliche Einung der Schöpfung, ihre irdische
Krönung und Übergipfelung, die im (christlichen) Kaisertum, christlicher Herr-
schaft ihren Ausdruck, im (christlichen) Kaiser ihren personalen natürlichen
Verwirklichen findet. Und da die in die Gottheit hineingenommene Mensch-
heit Jesu Christi die letzte, höchste, auch natürliche Vollendung der geistig-
herrscherlichen Schöpfung ist, könnte man bei Cusanus fast davon reden, daß
bei ihm im Bereiche der natürlichen Hierarchie das Tmema zwischen Gott
und Welt verwischt schiene, wäre für ihn gemäß allgemein christlicher An-
schauung nicht gerade diese Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Chri-
stus tiefstes und höchstes Geheimnis und Wunder. Zwar ist bei all dem wesent-
lich — was öfter bei Cusanus zu beachten ist —, daß es sich um den 'christ-
lichen’ Kaiser handelt, daß Cusanus mit einem gewissen Sicherheits- und
Heimatgefühl eben im 'christlichen Reiche’ steht. — Wie manches andere, so
läßt z. B. auch die Erklärung über den Grund der Absetzbarkeit des Kaisers
erschauen, wie Cusanus z. B. vom Machtwillen Kirchlicher verbogene Mei-
nungen der Zeit nicht etwa wegen ihrer Verbogenheit schlechthin ablehnt,
sie vielmehr nach einem eigentlichen zugrundeliegenden Sinne abfrägt. um zu
 
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