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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0130
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130

E. Wahle:

Kräfte in Tätigkeit sind, viel weniger in unsere Museen einfangen
können. Wird also insofern eine Umstellung verlangt, als die Klüfte
zwischen den Formenkreisen gleichsam wichtiger sein sollen als wie
das archäologisch Sichtbare, so bleibt dieser Deutungsversuch doch
im Bereiche des geschichtlich Möglichen, insofern in seinem Mittel-
punkt der Mensch selbst steht. An dem Beispiel der Heranbildung
des La-Tene-Stiles zeigte sich die Bedeutung der führenden Gesell-
schaftsschicht; es wurden weiterhin noch zahlreiche Belege dafür
erbracht, daß die Prähistorie die gestaltenden Persönlichkeiten
überall voraussetzen muß und sie vielerorts auch nachweisen kann.
Es ergab sich ferner, daß die linksrheinischen Germanen plötzlich
an Ort und Stelle sind, und daß hinter der Kulturprovinz allge-
mein die besondere Kraftentfaltung einer Lebensgemeinschaft zu
suchen ist. Aber weder zeigen sich in geschlossenen typologischen
Reihen die Erfinder und großen Gestalter, noch kann die Aktivität
der Nation anders als wie in ihrem Ergebnis festgestellt werden.
Und wie in den ältesten Abschnitten der Menschheitsgeschichte die
Einzelgestalt überhaupt für uns verschwindet, auch von Kultur-
provinzen kaum noch gesprochen werden kann, so ist es der Prä-
historie gleichermaßen versagt, diese frühe Entwicklung auf ge-
staltende und verarbeitende Zeiten hin zu studieren.
Es erscheint auch noch der Beachtung wert, daß diese unsere
Gliederung des geschichtlichen Ablaufes in die schwer oder gar nicht
greifbaren Perioden der Formung und in die deutlich sichtbaren
des Ausgleiches der Kräfte auch von der Völkerkunde gesehen
wird; ist ihr Stoff zwar ein anderer, so macht sich doch auch in
ihm die gleiche Erscheinung geltend, die also ein Gesetz der Ent-
wicklung verkörpert. „Gehen wir von der Kultur als einer Ganz-
heit aus, also als einer harmonischen Struktur, so bedeutet jeder
Wandel eine Störung dieser Struktur. Während des Wandels
herrscht also eine unharmonische Struktur, das Ergebnis des Wan-
dels ist eine neue harmonische Struktur. Kulturwandel bedeutet
dann also das Werden einer neuen, andersartigen harmonischen
Struktur“1.
Was sich jeweils hinter dem Begriff der „Lebenskraft“ ver-
birgt, bleibt uns im einzelnen verschlossen. Wir können von einer
inneren Erneuerung sprechen und gar von einer Renaissance, kön-
nen an Vorgänge biologischer und seelischer Art denken, aber
1 Fr. Krause, in einem Aufsatz über Kulturwandel und Volkstum.
Mitteilungen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft 59, 1929, 257 f.
 
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