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Nikolaus [Hrsg.]; Baur, Ludwig [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 4. Abhandlung): Nicolaus Cusanus und Ps. Dionysius im Lichte der Zitate und Randbemerkunge des Cusanus — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42023#0080
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Ludwig Baur Cusanus-Texte: III. Marginalien

Die mystische Theologie
Die höchste Stufe die letzte Vollendung und beglückendste
Form der Gotteserkenntnis bildet nach Nicolaus Cusanus
die mystische Theologie, die in Vision und Ekstase endigt.
Weder die affirmative noch die negative Theologie können uns
mit Sicherheit zum Ziele führen. In einer Randnotiz von der
Hand des Cusaners selbst (im cod. cus. 186f. 149v) beruft er sich
auf Plato indem er schreibt: „Plato simul mentiri dicit affirmatio-
nes et abnegationes in Deo indicibili1.“ Man muß, um zum Ziele zu
kommen, höher steigen, über die Gegensätze der affirmatio und
negatio hinweg. Unter Benützung der Worte des Ps. Dionysius
DN VII, 1 (PG 3, 865d)2 sagt er in der Apologia [1449] 10, 15:
,,... magni Dionysii doctrinam, qui decimo capitulo De divinis
nominibus in novissima Ambrosii Camaldulensis t.ranslatione . . .
sic ait: Itaque divina oportet ut intelligamus non hnmano more,
sed toti integre a nobis ipsis excedentes atque prorsus
in De um transeuntes.“ Es muß also eine neue und höhere
Form der Gotteserkenntnis hinzukommen: die mystische Gottes-
erkenntnis.
Der Ausdruck „mystische Theologie“, der in der von
Ps. Dionysius beeinflußten Scholastik wohl bekannt war, stammt
offenbar von dem gleichbenannten Werk des Ps. Dionysius (Μυσ-
τική θεολογία), das von Nicolaus Cusanus sehr gründlich studiert
und viel zitiert wurde. Ps. Dionysius galt bei allen seinen Kom-
mentatoren als der eigentliche Begründer dieser mystischen
Theologie. Ihrem Begriffe nach ist die mystische Theologie,
die nicht eine beweisbare Wissenschaft ist wie die anderen, nach
Cusanus das Eintreten in die absolute Unendlichkeit selbst, also
offenbar eine Art Erlebnis, eine Schau. Sie steht höher als die ver-
standesmäßige Erkenntnis Gottes. Ihre Erkenntnisart ist nicht
die intellectualis comprehensio, sondern die intellectualis visio
(vgl. RB 270). Nur wer eins geworden ist mit Gott, nur wer eingeht
in das Dunkel der Coincidenz, was nichts anderes heißt, als in
die Unendlichkeit Gottes selbst, der kann Gott schauend erkennen:
„toti integri a nobismetipsis excedentes atque prorsus in Deum trans-
1 Siehe R. Klibansky, Ein Proklosfund. Heidelberg 1929, S. 13 A. 2.
2 ,,Ινατά ταύτην (seil, ενωσιν) ούν τά Ιΐεΐα νοητέον, ού καΝ ή μάς, άλλ’ολους
εαυτούς όλων έαυτών έξισταμένους, και δλους θεού γιγνομένους.“ — Traversari-
Übersetzung: „hac itaque divina oportet intelligamus“ usw. wörtlich wie oben,
so daß also die Benutzung der TRAVERSARi-Übersetzung völlig zweifellos ist.
 
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