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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0004
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Martin Dibelius:

Besatzungsmacht angeordnet hat. Es ist wirklich eine brennende
Frage, ob ein frommer Jude diese Art Steuer zu zahlen habe1.
Die Antwort Jesu gründet sich bekanntlich darauf, daß die
Steuermünze, der römische Denar oder ein ähnliches Stück aus
einer der Tetrarchien, den Kopf des Kaisers zeigt, daß also die
Herrschaft des fremden Kaisers in Handel und Wandel anerkannt
wird. Formell besteht die Antwort aus zwei parallelen Sätzen:
,,So gebt dem Cäsar das, was ihm gehört, und Gott das, was sein
ist“. Aber es ist leicht zu sehen, daß dieser Parallelismus ironisch
gemeint ist: wenn es den frommen Fragern wirklich um den „Weg
Gottes“ (Mk. 12, 14) zu tun wäre, so dürften sie nicht an die For-
derung des fremden Kaisers, sondern müßten zu allererst an die
Forderung Gottes denken! Denn diese Forderung wird bald mit
Macht an sie herantreten ■— die eschatologische Verkündigung des
kommenden Gottesreiches steht wie bei allen Worten Jesu so auch
hier im Hintergrund —, und bei der kommenden Welt Verwandlung
wird mit des Kaisers Herrschaft auch des Kaisers Steuerforderung
ihr Ende finden. Bis dahin aber gebraucht man das Geld des Cäsar;
und wenn die Juden sich nicht zu gut sind, mit dem fremden Geld
umzugehen, so müssen sie dem fremden Herrn auch die Steuer,
sogar die Kopfsteuer, zahlen. Vor allem aber sollen sie aufhören,
Fragen als wesentlich zu betrachten, die mit dieser Welt vergehen.
Sie haben eine angeblich „fromme“ Frage gestellt, aber sie haben
nicht nach Gott gefragt. Jesus verweist sie auf die Pflicht, die
immer besteht, auf die Forderung, die allen anderen übergeordnet
ist: gebt Gott, was sein ist!
Bei solchem Verständnis hätte der evangelischen Erzählung in
der Tat eine Weisung für das Verhalten der Christen zum Staat
entnommen werden können; sie hätte dann auf interimistische,
eschatologisch bedingte Pflichterfüllung gelautet. In Wirklichkeit
hat man die Geschichte nicht so verstanden. In den ältesten Äuße-
rungen der Christen zum Thema „Staat“ spielt sie keine Bolle2.
1 Man hat aus der Frage auch einen Appell an Jesus als den Messias
herausgelesen, eine Aufforderung, sich als Messias zu offenbaren, oder die Ver-
suchung, einen messianischen Aufstand gegen die Römer ins Werk zu setzen.
Vgl. dazu Eck, a.a.O., S. 19f., Kittel, a.a.O., S. 8ff. Im Text angedeutet
ist dieser angebliche Unterton der Frage nicht. Die Frage wird nach Mk. 12, 14
an einen Lehrer gerichtet, der keine menschlichen Rücksichten kennt. Aber
auch so berührt sie natürlich messianisch-politische Hoffnungen, falls eine
wirkungsvolle Steuerverweigerung ernsthaft erwogen wird.
2 Paulus beruft sich in dem gleich zu besprechenden Abschnitt Röm. 13
 
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