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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0008
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Martin Dibelius:

lieh, durch Stichwortanschluß, hergestellt1. Und natürlich sind auch
Parallelen aus der außerchristlichen Literatur aufzufinden; diese
ethische Überlieferung besteht ja zum guten Teil aus älteren Regeln
jüdischer oder hellenistischer Prägung, die die christlichen Prediger
höchstens mit gewissen Variationen weitergegeben haben. Aber die
zum Beweis angeführten Stellen2 haben meist eine andere Aus-
richtung als unser Text; sie wollen die Herrscher warnen, die sich
der göttlichen Herkunft ihrer Herrschaft nicht bewußt sind und
darum unverantwortlich handeln. In der bloßen Aussage — das
Herrschen wird immer von Gott verliehen — steht unserer Stelle
am nächsten der Satz, mit dem Josephus das Gehorsamsgelübde
der Essener rechtfertigt (Bellum Jud. II 8, 7, § 1403): „Nicht
ohne Gott kommt jemandem die Herrschaft zu“. Wenn hier wie
bei Paulus das jeweilige Herrschaftsverhältnis ohne alle Kritik an
der Art des Herrschens auf Gott zurückgeführt wird, so erinnert
diese Hinnahme des Gegebenen an die Haltung des Stoikers4. Bei
Paulus wird aber diese Anerkennung der Obrigkeit auch rational
begründet: die Behörde stellt eine sittliche Autorität dar, die in
Gottes Auftrag die Guten belohnt und die Bösen bestraft. In ähn-
licher Weise, nur mit gröberem Ausdruck, ist in der Mischna, Aboth
III, 2, in einem Spruch des Rabbi Chananja (um 70 n. Ghr.) das
Gebet für die Obrigkeit begründet: „bete für das Wohl der Regie-
rung, denn wenn es keine Furcht vor ihr gäbe, hätten wir einander
1 Die letzte Mahnung des Abschnitts lautet άπόδοτε πασιν τάς όφειλάς
.Darauf soll das Liebesgebot folgen. Die Verbindung wird hergestellt,
indem das Liebesgebot eingeleitet wird mit μηδενί μηδέν οφείλετε εί μή τδ άλλή-
λους άγαπαν. οφείλετε verbindet diesen Satz mit όφειλάς im vorigen.
2 Dan. 2, 21. 37; Sap. Sal. 6, 3; Apok. Baruch syr. 82, 9; Ilenoch
46, 5.
3 Josephus führt als Inhalt des Eides, den der Novize des Essener-Ordens
schwören muß, an: er verpflichte sich, Gott zu verehren, seine Pflichten gegen
die Menschen zu erfüllen.sowie Treue gegen jedermann und besonders
gegen die Vorgesetzten zu üben (τό ττιστόν άεί παρέξειν πασι, μάλιστα τοΐς
κρατοΰσιν), und als Begründung wird der oben zitierte Satz angefügt: ού γάρ
δίχα θ·εοΰ περιγίγνεσθαί τινι τό άρχειν. Diese Begründung stammt offenbar
von Josephus. Die Eidesformel bezieht sich auf die Ordensoberen; Jose-
phus aber, immer darauf bedacht, die Essener als Muster allgemein mensch-
licher Tugenden hinzustellen, deutet die Worte auf alle menschlichen κρατούν-
τες und liest so in den Eid die allgemeine Loyalitätspflicht hinein. Vgl. meine
Rektoratsrede „Urchristentum und Kultur“ (Heidelberg 1928), Anm. 18.
4 Vgl. etwa Epiktet I. 1, 30 die Geschichte von Agrippinus, der die
Nachricht, er sei im Senat zur Verbannung verurteilt, ohne jede Kritik mit
den Worten aufnimmt: „So wollen wir das Frühstück in Aricia einnehmen“.
 
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