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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0012
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12

Martin Dibelius:

II.
In weitesten Kreisen der Forschung wird die Meinung ver-
treten, Paulus habe noch in einem anderen Zusammenhang dem
römischen Staate eine positive Schätzung angedeihen lassen. Er
habe ihn für den retardierenden Faktor erklärt, der die Endkata-
strophe noch hinausschiebe. Er habe dies auch angedeutet in jenem
Kapitel des II. Briefes an die Thessalonicher1, das vom Anti-
christ, dem großen Gottesfeind der Endzeit, handele. Paulus will
an jener Stelle die Leser vor allzu großer eschatologischer Auf-
geregtheit, ,,als stehe der Tag des Herrn unmittelbar bevor“ (2, 2),
warnen. Er erinnert sie daran, daß er sie bei der Gründung der
Gemeinde belehrt habe: erst müsse der große Abfall und der
„Widersacher“ erscheinen, der sich im Tempel Gottes niederläßt
und sich zum Gott erklärt (2, 4). „Und was ihn jetzt2 noch zurück-
hält, daß er sich erst zu seiner Zeit offenbare, das wißt ihr. Denn
das Geheimnis des Frevels ist schon am Werk, nur“ — ergänze:
währt es noch eine Weile — „bis der beseitigt ist, der es zur Zeit
noch zurückhält, und dann wird sich der Frevler offenbaren“ (2, 6
bis 8). In geheimnisvoller Andeutung, die zuerst das Neutrum το
κατέχον, dann das Maskulinum 6 κατέχων braucht, wird hier, und
nur hier, erwähnt, daß den Frevler noch ein Etwas zurückhält oder
festhält; und in diesem κατέχων haben altkirchliche Ausleger, hat
auch der größte Teil der neueren Exegeten das römische Reich
gesehen.
Der älteste Kirchenlehrer, der die Worte des Paulus auf Rom
bezieht, ist Tertullian3. Aber er vertritt, fast anderthalb Jahr-
hunderte nach Paulus, apologetische Interessen und will mit dieser
Deutung sagen, daß die Christen, wenn sie um Aufschub der End-
1 Ich nehme die Gründe, die gegen die Echtheit des II. Thessalonicher-
briefes zu sprechen scheinen, durchaus ernst: das merkwürdige Verhältnis zu
I. Thess., der feierlich unpersönliche Stil, die sehr traditionell-jüdische Eschato-
logie. Aber ich glaube in meinem Kommentar gezeigt zu haben, daß sich
diese Eigentümlichkeiten verstehen lassen, wenn der Brief für die gottes-
dienstliche Versammlung eines besonderen, vielleicht judenchristlichen Teiles
der Gemeinde bestimmt ist, wie dies, freilich mit anderer Begründung, schon
Harnack SBA 1910, 560ff. vorgeschlagen hatte.
2 νυν gehört zu κατέχον, nicht zu ο’ίδατε, so wie V. 7 άρτι zu κατέχων
gehört.
3 Tertullian, Apologeticum 32, Ad Scapulam 2, De carnis resurrectione
24. — Irenaeus, Contra omnes Ilaereses V 26 darf zwar als Beleg für die
Anschauung genannt werden, daß der Antichrist das römische Reich zerstören
werde, nicht aber für die Deutung des κατέχων auf Rom.
 
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