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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0013
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Rom und die Christen im ersten Jahrhundert

13

katastrophe beten, damit für die Dauer des römischen Staates ein-
treten. Was die Endkatastrophe aufhält, ist etwas Gutes, das mög-
lichst lange erhalten bleiben soll; und darum ist der κατέχων das
römische Reich. Das kommt aus einer völlig anderen Gesinnung,
als es die des Paulus ist. Paulus und seine Gemeinden beten gar
nicht um Aufschub der Katastrophe. Der etwas spießbürgerlich
klingende Satz itague nolumus experiri „wir wünschen darum
das Ende nicht zu erleben“ und precamur difjerri „wir beten um
Aufschub“ (Tertullian, Apologeticum 32) würde von dem Apostel
Paulus nicht nachgesprochen werden, denn er sehnt sich brennend
nach dem Ende der Welt und der Wiederkunft seines Herrn Chri-
stus1. Er ist darum gar nicht interessiert an der Endgültigkeit der
bürgerlichen Ordnung in dieser Welt. Eine durchaus bürgerliche
Interpretation hat dieses ihr eigenes Interesse immer wieder in das
13. Kapitel des Römerbriefs hineingelesen und hat dabei den tradi-
tionellen Charakter dieser Mahnung ebenso übersehen wie ihre
eschatologische Begrenzung, die für Paulus selbstverständlich ist.
Und gestützt auf diese Auslegung von Röm. 13 haben die Inter-
preten dann auch den Katechon auf das römische Reich gedeutet.
Aber weil Paulus die endzeitliche Auflösung der staatlichen und
bürgerlichen Ordnung nicht mit Grauen erwartet, sondern mit Sehn-
sucht für eine nahe Zukunft erhofft, darum kann er den Katechon
nicht so positiv sittlich werten wie Tertullian — und nur bei solcher
Wertung wäre die Deutung auf das römische Reich sinnvoll.
Diese Deutung steht auch nicht in Einklang mit dem mythi-
schen Charakter der ganzen Vorstellung. Der Antichrist ist — ver-
menschlicht zwar, aber immer noch erkennbar — der große Ur-
feind Gottes aus den Anfängen der Welt, der in der Endzeit wieder
freikommen wird zum letzten Entscheidungskampfe. Die Vorstellung
selbst ist in vielen Eschatologien belegbar2. Zu ihr gehört aber das
1 Die Tendenz des Kapitels 11. Thess. 2 ,,laßt euch nicht erschüttern,
als stehe der Tag· des Herrn bevor“, ist bedingt durch die eschatologische
Aufgeregtheit der Christen von Thessalonike. Im übrigen wünscht auch der
Paulus des II. Thess.-Briefes, daß die Befreiung der Bedrängten bei der Pa-
rusie bald eintrete (1, 7 μεθ’ ήμών!), so wie er I. Thess. 4, 17 und I. Kor.
15, 51 sicher hofft, die Wiederkunft noch zu erleben. Vgl. sonst noch 1. Kor.
3,13; 7,29—31; II. Kor. 4, 16—18; Gal. 5,5; Röm. 8,17—25; 13,11—14;
Phil. 1, 10. 11; 4, 5.
2 Siehe meinen Kommentar im Handbuch zum N. T., 3. Aufl., S. 47—51.
— Zu vergleichen ist auch die Fesselung und das Freiwerden Satans im Zu-
sammenhang mit dem tausendjährigen Reich Apc. 20, 2. 7.
 
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