Rom und die Christen im ersten Jahrhundert
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Sodann wundert man sich über die fast verhüllende Ausdrucksweise,
in der der Brief von der eben überstandenen Verfolgung redet; er
spricht von den „plötzlichen und Schlag auf Schlag über uns ge-
kommenen Unglücksfällen und Mißgeschicken“ (1, 1). Für eine
Verfolgung, hei der mit vielen andern auch der Konsul Flavins
Clemens sein Leben lassen mußte, sind συμφοραί und περιπτώσεις
milde Ausdrücke. Man meint einen stoischen Philosophen zu hören,
der gegen seinen Willen durch störende „Zufälle“ wieder in den
unheilvollen Wechsel von Begehren und Vermeiden verstrickt wird1.
Noch befremdlicher — für einen, der eben selbst eine Verfol-
gung erlebt hat — ist aber die Art, wie Klemens von der neroni-
schen Verfolgung spricht, die in Born nach einem Menschenalter
noch in guter Erinnerung sein mußte2. Er erwähnt die Märtyrer
dieser Verfolgung im Bahmen eines Katalogs, der aus der bibli-
schen Geschichte Opfer bösen Eifers anführt: Abel, Jakob, Joseph,
Moses, Aaron und Mirjam, Dathan und Abiron, und David. Es
war eine literarische Gewohnheit des Judentums, der Väter Taten
oder Tugenden in solcher Weise darzustellen3. Das griechische
Judentum verbindet hellenistische Morallehre damit und macht
JTigenden oder Laster zum Leitthema solcher Aufzählungen4. Das
Christentum hat dieses Schema zuerst im Hebräerbrief, Kapitel 11,
mit dem Leitthema des Glaubens angewendet; der Erste Klemens-
brief bringt weitere Beispiele, deren erstes wir in diesem Katalog
des bösen Eifers vor uns haben. Der moralische Leitgedanke wird
dabei nicht immer streng durchgeführt; er bietet mehr die Ge-
legenheit, die alten Gestalten dem Leser wieder einmal vorzustellen.
So sind auch hier, in I. Klein. 4. 5, sowohl Opfer wie Träger des
1 In der Tat hat Epiktet, den Plural συμφοραί IV 1, 50 so gebraucht.
2 Klemens nennt die Opfer Neros 5, 1 „die erlauchten Beispiele unseres
eigenen Zeitalters“, Irenaeus, der freilich überall Traditionszusammenhänge
wittert, spricht Contra omnes haereses III 3, 3 von persönlicher Bekannt-
schaft des Klemens mit den „seligen Aposteln“. Keinesfalls aber braucht man
zu vermuten, die neronische Verfolgung habe die Christengemeinde in Rom
so dezimiert, daß eine Art von Neugründung nötig gewesen sei (H. Dannex-
bai f.r, Hist. Zeitschrift 146 (1932), S. 246f.). Das ist an sich unwahrschein-
Iich und durch kein Wort der Quellen gerechtfertigt; vgl. Lietzmann SBA
1936, 397.
3 z. B. Sirach 44—50, dazu N. A. Dahl, Das Volk Gottes, 1941, 55.
4 Das wichtigste Beispiel ist Sap. Sal. 10, die Leitung Israels durch die
Weisheit; in den folgenden beiden Kapiteln verliert sich das Leitthema wieder,
und es bleibt nur eine Darstellung der Vergangenheit übrig. Vgl. aber Philo,
De virtutibus 198l’f.; De praemiis et poenis 7 ff.
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Sodann wundert man sich über die fast verhüllende Ausdrucksweise,
in der der Brief von der eben überstandenen Verfolgung redet; er
spricht von den „plötzlichen und Schlag auf Schlag über uns ge-
kommenen Unglücksfällen und Mißgeschicken“ (1, 1). Für eine
Verfolgung, hei der mit vielen andern auch der Konsul Flavins
Clemens sein Leben lassen mußte, sind συμφοραί und περιπτώσεις
milde Ausdrücke. Man meint einen stoischen Philosophen zu hören,
der gegen seinen Willen durch störende „Zufälle“ wieder in den
unheilvollen Wechsel von Begehren und Vermeiden verstrickt wird1.
Noch befremdlicher — für einen, der eben selbst eine Verfol-
gung erlebt hat — ist aber die Art, wie Klemens von der neroni-
schen Verfolgung spricht, die in Born nach einem Menschenalter
noch in guter Erinnerung sein mußte2. Er erwähnt die Märtyrer
dieser Verfolgung im Bahmen eines Katalogs, der aus der bibli-
schen Geschichte Opfer bösen Eifers anführt: Abel, Jakob, Joseph,
Moses, Aaron und Mirjam, Dathan und Abiron, und David. Es
war eine literarische Gewohnheit des Judentums, der Väter Taten
oder Tugenden in solcher Weise darzustellen3. Das griechische
Judentum verbindet hellenistische Morallehre damit und macht
JTigenden oder Laster zum Leitthema solcher Aufzählungen4. Das
Christentum hat dieses Schema zuerst im Hebräerbrief, Kapitel 11,
mit dem Leitthema des Glaubens angewendet; der Erste Klemens-
brief bringt weitere Beispiele, deren erstes wir in diesem Katalog
des bösen Eifers vor uns haben. Der moralische Leitgedanke wird
dabei nicht immer streng durchgeführt; er bietet mehr die Ge-
legenheit, die alten Gestalten dem Leser wieder einmal vorzustellen.
So sind auch hier, in I. Klein. 4. 5, sowohl Opfer wie Träger des
1 In der Tat hat Epiktet, den Plural συμφοραί IV 1, 50 so gebraucht.
2 Klemens nennt die Opfer Neros 5, 1 „die erlauchten Beispiele unseres
eigenen Zeitalters“, Irenaeus, der freilich überall Traditionszusammenhänge
wittert, spricht Contra omnes haereses III 3, 3 von persönlicher Bekannt-
schaft des Klemens mit den „seligen Aposteln“. Keinesfalls aber braucht man
zu vermuten, die neronische Verfolgung habe die Christengemeinde in Rom
so dezimiert, daß eine Art von Neugründung nötig gewesen sei (H. Dannex-
bai f.r, Hist. Zeitschrift 146 (1932), S. 246f.). Das ist an sich unwahrschein-
Iich und durch kein Wort der Quellen gerechtfertigt; vgl. Lietzmann SBA
1936, 397.
3 z. B. Sirach 44—50, dazu N. A. Dahl, Das Volk Gottes, 1941, 55.
4 Das wichtigste Beispiel ist Sap. Sal. 10, die Leitung Israels durch die
Weisheit; in den folgenden beiden Kapiteln verliert sich das Leitthema wieder,
und es bleibt nur eine Darstellung der Vergangenheit übrig. Vgl. aber Philo,
De virtutibus 198l’f.; De praemiis et poenis 7 ff.