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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0032
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32

Martin Dibelius:

nicht von schimpflichem Verrat berichten, sondern besagt lediglich,,
daß man erst einiger weniger Christen habhaft wurde und dann von
diesen auch die Namen anderer Mitglieder der Gemeinde direkt
oder indirekt erfuhr oder erpreßte1.
Es bleibt die für uns wesentliche Frage, welcher wirklichen
Vergehen man die Christen geziehen habe. Tacitus gibt eine dop-
pelte Antwort; er sagt bei der ersten Erwähnung der Christen
quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos2 appellabat. Bei der Schil-
derung der Hinrichtungen nennt er als Grund odium hurnani generis.
Daß bei dem Verfahren gegen die Christen die angebliche Brand-
stiftung eine Bolle gespielt habe, ist also nicht gesagt; Tacitus
meint nur, daß Nero beides verbunden habe, weil er das Gerücht
bekämpfen wollte, das ihn selbst zum Schuldigen machte: abolendo
rumori Nero subdidit reos. Mir scheint, daß die wissenschaftliche
Behandlung des Abschnitts sich dadurch in einer Fülle von unlös-
baren Problemen verfangen hat3, daß sie jedes Wort des Tacitus-
Textes gepreßt und nicht mit der historischen Konstruktion des
Schriftstellers gerechnet hat. Über des Kaisers eigene Gedanken
konnte ja kaum einer der Mitlebenden, geschweige denn der ein
halbes Jahrhundert später schreibende Tacitus Bescheid wissen4!
Also müssen die Worte subdidit reos auf einer Konstruktion des
Autors beruhen, mit der er das auffällige Nacheinander zweier
Volks-Erregungen zu erklären suchte.
Der Tatbestand, der vor aller Augen lag, ist aus den Worten des
Tacitus leicht zu erschließen: Nero hat die Erregung des Volkes,
1 Klette S. 123 verweist auf die Märtyrerakten, etwa des Justin oder
des Karpus und Papylus, die zeigen, welche Fragen an die Christen gerichtet
wurden: nach Eltern, Kindern, Wohnung und nach dem Ort der Zusammen-
künfte. Wenn diese Fragen harmlos beantwortet wurden, gewann die Behörde
,,indicio eorum“ Material, um gegen weitere Kreise vorzugehen.
2 Ich folge der ursprünglichen Lesart des Mediceus, weil nur sie den
Gegensatz zwischen der Meinung des Volkes und dem Wissen des Autors
erklärt.
3 Das ist besonders an der eingehenden, aber die Dinge unendlich kom-
plizierenden Studie von Klette ersichtlich. Nach ihm hat Tacitus eine Quelle
gehabt, in der qui fatebantur auf Christen ging, die sich zum Christusglauben
bekennen. Tacitus soll dann durch den Zusammenhang seines Textes an-
deuten, daß seiner Meinung nach sich das Geständnis auf den Brand bezog
(Klette, a.a.O., S. 106—119).
4 Vgl. die Rede des M. Terentius im Senat mit Beziehung auf Tiberius,
Ann. VI 8: abdilos principis sensus, et si quid occultius parat, exquirere inlici-
tum, anceps: nee ideo adsequare.
 
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