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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0035
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Rom und die Christen im ersten Jahrhundert

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flagitia cohaerentia nomini zu bestrafen seien. An welche flagitia
er dabei denkt, zeigt sich bei der Aussage der früheren Christen,
die inzwischen abgefallen sind (ep. 96, 7): sie wären bei der zweiten
Versammlung am Sonntag zusammengekommen ad capiendum
cibum, promiscuum tarnen et innoxium. Man merkt, wohin der Ver-
dacht zielt: die Christen sind damals offenbar schon, wie später
noch so oft, beschuldigt worden, sogenannte Thyesteische Mahl-
zeiten zu halten, d. h. getötete Kinder zu verzehren. Diese Anklage,
verbunden mit der auf sexuelle Ausschweifung, ist im zweiten Jahr-
hundert verbreitet. Plinius kennt sie offenbar, und Tacitus hat sie
wahrscheinlich gemeint, als er von den flagitia schrieb. Sie mag
gerade in der Zeit der beiden Schriftsteller durch eine gewisse reali-
stische Abendmahlsauffassung, die uns aus Joh. 6, 51—57 bekannt
ist, eine neue Stütze empfangen haben. Man darf aber bezweifeln,
ob Tacitus diese Anklage mit Recht in die neronische Zeit zurück-
trägt. Was dagegen spricht, ist vor allem der I. Petrusbrief, der
unter den 4, 15 genannten Vergehen jene flagitia sicher nennen
würde, wenn sie von der Volksstimmung den Christen bereits zu-
geschrieben wären; denn der Verfasser des Briefes ist ja beson-
ders an der Abwehr von Verleumdungen interessiert.
Es bleibt also für die Zeit Neros nur die andere Anklage be-
stehen: odium humani generis. Damit ist ein weites Gebiet um-
schrieben. Man darf es wohl als erwiesen betrachten1, schon durch
Ed. Zeller2 und neuerdings durch Wilhelm Nestle3 4, daß nicht
,,Abscheu des Menschengeschlechts“ zu übersetzen ist, sondern
,,Haß gegen das Menschengeschlecht“; es ist der lateinische Ersatz
für μισαν&ρωπία. Daß Vorwürfe dieser Art überhaupt an die Chri-
sten herangebracht wurden, ist nicht verwunderlich, denn sie waren
in der Polemik gegen die Juden üblich. Die Judenaustreibung unter
Claudius beweist, daß vor der neronischen Verfolgung die Christen
noch zu den Juden gerechnet wurden. Die Juden aber waren für
die Römer Gottlose und Menschenfeinde1. Paulus selbst hat I.Thess.
1 Gegen Ed. Meyer, Ursprung und Anfänge III 507, der aber mehr
sachliche als sprachliche Gründe anführt.
2 Ztschr. f. wiss. Theol. 1891, 351 ff. Er verweist auf Cicero Tusc. disp.
IV 10 § 25, wo neben dem odium mulierum, erklärt durch μισογύνης, genannt
wird das (odium) in hominum Universum genus, erklärt durch μισάνθρωπος.
Dasselbe odium wird dann § 27 mit dem Genitiv generis humani bezeichnet.
3 Wilhelm Nestle, „Odium humani generis“ (Zu Tacitus ann. XV 44),
Klio 21 (1927), 92 f.
4 Apollonios Molon bei Josephus C. Apionem II § 148 ώς άθ-έους καί

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