Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0036
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
36

Martin Dibelitjs:

2, 15 als Christ diese allgemeine Anklage gegen das Judentum auf-
genommen und aus seiner christlichen Erfahrung neu begründet.
Wie die Anklage gemeint war, zeigt sehr deutlich Philostratus (Vita
Apollonii V 33): ,, Sie sind uns ferner als Susa und Baktra und die
Inder, denn sie teilen unser Leben nicht und teilen mit andern
Menschen weder Mahlzeiten noch Verträge, weder Gebete noch
Opfer.“
Rechtliche Folgen hatten diese Anklagen gegen Juden nicht,
denn das Judentum war religio licita. Sehr viel ernster waren diese
Vorwürfe aber zu bewerten, wenn sie sich gegen die aus dem Schat-
ten des Judentums heraustretende Christengemeinde richteten. Die
Bildlosigkeit. ihres Kults und — was gegenüber dem Judentum noch
hinzukommt — das Fehlen eines wirklichen Tempels macht sie in
den Augen der Römer zu Atheisten -— nur daß die Römer das
anders nannten und von impii, irreligiösi, sine cleo und deos non
colere redeten* 1. Eine solche gottlose Sekte zog natürlich das all-
gemeine Mißtrauen auf sich.
Dazu kam noch das, was die Römer mit ,,Menschenhaß“ be-
zeichneten. Die Zeit des Hellenismus hatte den Verfall der Stadt-
staaten in Griechenland und für Rom die Ausdehnung des Impe-
riums auf ferne Länder gebracht. Tore nach draußen waren ge-
öffnet worden, Mauern zwischen den Völkern waren gefallen. Ein
starker Kosmopolitismus war die Folge, und Philanthropie wurde
die Voraussetzung alles wahrhaften Menschseins. Eine Bruder-
schaft wie die christliche, die ihre Mitglieder gegen die Welt ab-
schloß und miteinander umso enger verband, mußte als feindlich
gegenüber dem besten Geist der Zeit gelten. Tertullian hat später
zum Schutze der Christen einen Satz geprägt, der für das frühe
Christentum erst recht Geltung hatte: nec ulla magis res aliena
quam publica (Apol. 38). Der Satz sollte die Christen vor dem Ver-
dacht politischer Ansprüche schützen, konnte aber auch gegen die
Christen gewendet und als Abkehr von allen öffentlichen Pflichten
verstanden werden. Exklusivität nach außen, Hilfsbereitschaft
nach innen, wie sie das Christentum vertrat, wurde als Menschen-

μισανθρώπους. In Alexandria scheinen die Juden allgemein als ανόσιοι be-
zeichnet worden zu sein; s. P. Par. 68, Verso 6, 8ff. P. Bremen 40, 1 ff.
Wilcken, Abh. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 27 (1909), 794f.
1 Harnack, Der Vorwurf des Atheismus in den ersten drei Jahrhunder-
ten, Texte und Untersuchungen 28, S. 8—16. Vgl. noch Mommsen, Hist.
Ztschr. 64, 1890, S. 399ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften