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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0053
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Rom und die Christen im ersten Jahrhundert

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Menschen zu orientieren, die hingerichtet werden sollen. Hier ist
also die Frage der ungerechten Obrigkeit endlich einmal im Ernst
gestellt. Paulus brauchte sie nicht zu beantworten, weil für ihn
das Imperium nur einen interimistischen Charakter hatte und zü
ehren war, bis Gott ihm ein Ziel setzte. Der Apokalyptiker Jo-
hannes brauchte nicht theoretisch darüber zu reden, da für ihn
der Konflikt mit dem Staat schon zu den dämonischen Ereignissen
der Endzeit gehörte, die er seherisch schaute. Melito redet dar-
über, weil für ihn das Ende nicht so unmittelbar nahe ist, aber er
tut es nicht einseitig und versichert dem Kaiser, was von ihm
komme, sei gerecht. So erwächst hier — seltsam genug — die Be-
reitschaft zum Martyrium gerade aus der Ehrerbietung gegen den
Kaiser1.
In anderer Weise versucht Tertullian des Problems Herr zu
werden. Er liest (Scorpiace 14) aus Römer 13 die Pflicht der Loya-
lität heraus, betont aber zugleich, daß Paulus nicht etwa den Rat
gebe, dem Martyrium auszuweichen — das war für Paulus selbst-
verständlich, weil ihm das Imperium ein Stück der alten Welt war,
der Christ aber schon der neuen Welt angehört. Tertullian zitiert
dann den I. Petrusbrief mit seiner Forderung ,,ehret den König“,
fügt aber gleich die Einschränkung hinzu: „wenn er bei seinen
Angelegenheiten bleibt und sich vom Verlangen nach göttlicher
Ehre frei hält“. Das stand nun im I. Petrusbrief gerade nicht, denn
„Petrus“ kannte den Konflikt um den Kaiserkult offenbar noch
nicht. Tertullian aber kennt ihn und baut einer uneingeschränkten
Anwendung des Bibelwortes vor.
Dieser Ausblick in spätere Zeiten sollte nur die Schürzung des
Knotens sichtbar machen, dessen erste Verschlingungen in urchrist-
licher Zeit wir beobachtet haben. Es hat sich bei dieser Betrach-
tung gezeigt, daß die Christen auch durch bittere Erfahrungen der
Verfolgungszeiten nicht zu grundsätzlichen Staatsfeinden gewor-
den sind. Das hängt einmal zusammen mit einer festen Überliefe-
rung, die zum Gehorsam gegen die Obrigkeit verpflichtete. Diese
Überlieferung tritt für uns am deutlichsten bei Paulus, Römer 13,

1 Daß andererseits auch mitten im Martyrium die alte Verpflichtung
zum Gehorsam gegen die Obrigkeit lebendig bleibt, beweist das Martyrium
des Polykarp (10, 2), der dem Prokonsul erklärt: „Dich habe ich einer Anrede
für würdig gehalten, denn wir sind gelehrt, den von Gott gesetzten Obrig-
keiten und Gewalten die gebührende Ehre zu erweisen, soweit sie uns (d. h.
unserem Glauben) keinen Schaden tut.“
 
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