Metadaten

Hölscher, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 3. Abhandlung): Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung — Heidelberg, 1942

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42028#0058
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
58 G. Hölscher: Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung

die Pointe, mit Vorliebe die ätiologische Erklärung eines Zustandes
der Gegenwart, eines Namens1 oder einer Einrichtung bringt, und
der gern in die rhythmische Form eines Spruches (Segens oder
Fluches) gekleidet ist. Erst eine jüngere Zeit hat gelernt, breiter
zu erzählen. Das geht Hand in Hand mit der Zusammenfassung
von Einzelsagen zu größeren Sagenkränzen. Die Charakteristik
der Personen wird vielfältiger, die Handlung verwickelter. Die
bedeutsamen und besonders reizvollen Szenen werden reicher aus-
geschmückt; neue Szenen werden, um die Einzelstücke zu ver-
binden und ihre Verbindung zu motivieren, frei geschaffen, mit
Vorliebe typische Szenen aus dem Leben2. Auch werden längere
Reden gehalten, in denen etwa das Erzählte wiederholt wird3 oder
das Seelenleben der Personen zu direktem Ausdruck kommt4. Das
Moment der Spannung, das sich in den älteren Erzählungen nur
in bescheidenerem Maße geltend macht, wird durch Wiederholung
verstärkt5. Die Sagenkränze aber gestalten sich zu kunstvollen
Kompositionen voll lebhafter Kontraste und dramatischer Steige-
rung6. Diese Ausbildung der Erzählerkunst erfolgt Hand in Hand
und unter dem Einfluß der sich gleichzeitig entwickelnden Novellen-
dichtung, von der weiterhin die Rede sein wird.
Aus der Verknüpfung der Einzelsagen zu Sagenkränzen und
der Sagenkränze untereinander entsteht am Ende ein Gesamtbild
von den Ursprüngen der Welt und des Menschengeschlechtes, der
Völker und Stämme. Die Schaffenskraft der dichtenden Phantasie
ist gesunken, die reine Lust an Unterhaltung und Ergötzung zurück-
getreten hinter dem Wunsch nach Belehrung, nach Wissen um die
1 Oft deuten die Sagen auf diese Namen nur durch eine Anspielung hin,
z. B. Gen 1812_15 (lachen — Isaak), Gen 2525 (rötlich — Edom), Gen 328 (zwei
Heerlager — Machanaim), Gen 3 223 (Jabbok —- Jakob), Ex 32 (Dornbusch —
Sinai).
2 Z. B. der Streit der Hirten und die Trennung Lots von Abraham
Gen 132 5 7_lla 12h, die Werbung um Rebbeka Gen 24, die Begegnung Jakobs
mit den Hirten Labans am Brunnen Gen 29lff., die Liebesäpfel Rubens Gen
3014_i6, die Begegnung Jakobs mit Esau Gen 324ff. 33lff., der Totschlag, die
Flucht Moses und die Begegnung mit Sippora am Brunnen Ex 2llff., die Stei-
gerung der Bedrückung Ex 53ff.
3 Gen 4213 21 30ff. 433 7 20f. 4419ff.
4 Gen 4 330 4 5 26ff.
5 So in der Wiederholung der Träume und der Reisen in der Josef-
geschichte oder in den sich steigernden Plagen in Ägypten.
6 So die Abraham-Lotsage, die Jakobsage, die Josefsage, die Auszugs-
sage, die Simsonsage.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften