70 G. Hölscher: Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung
an, vielleicht ein Hierodulengeschlecht, das unter der israelitischen
Bevölkerung der Stadt wohnte1. Die Sage von ha-‘Ai führt die
Unbewohntheit dieser Trümmerstätte auf eine Zerstörung durch
die einwandernden Israeliten zurück2. Die Gib‘onsage endlich er-
klärt das Dienstverhältnis der Gib‘oniten am Tempel, offenbar dem
zu Jerusalem, aus einem Vertrage, den die israelitischen Eroberer
mit den kanaanitischen Bewohnern des Ortes geschlossen haben
sollen. Der historische Gehalt aller dieser Sagen ist sehr dürftig.
Die Eroberung jener Orte wird dem Josua bin-Nun (,,Fisch“) zu-
geschrieben, dem efraimitischen Heros von Timnat-Cheres, dessen
Grab man daselbst zeigte3. Darin lebt Erinnerung fort an die Zeit,
da die Benjaminiten, die „Leute des Südens“, sich noch nicht von
den übrigen Efraimiten, dem „Hause Josefs“, als eigener Stamm
getrennt hatten4. Die Eroberung Jerichos durch die Benjaminiten
scheint also ein Nachklang jener kriegerischen Ausbreitung des
Hauses Josefs vom Gebirge Efraim aus nach Süden zu sein und
wird in sehr frühe Zeit, etwa ins 13. Jahrhundert, fallen5. Die Sage
von der Eroberung von ha-‘Ai durch die Israeliten ist rein legen-
därer Art, wie sich aus den Ausgrabungen von 1933'—34 in et-Tell
ergeben hat6. Die Gib‘onsage hängt zusammen mit einem großen
Siege bei Gib‘on, an den das Lied Jos 10i2f. eine Erinnerung be-
wahrt; der Liedspruch wird dort von E dem Josua in den Mund
gelegt, doch könnte das Lied sich ursprünglich auf den Sieg Davids
über die Philister 2. Sam 525 (Jes 2821) beziehen.
Noch spärlicher als in dieser Darstellung der Eroberung benja-
minitischen Gebietes ist der historische Gehalt dessen, was in Jud 1
1 Vgl. H. Windisch, ZAW XXXVII 1919, 188ff.; G. Hölscher, ZAW
XXXVIII 1920, 54ff.
2 A. Lods, Les Fouilles d’A'i ä l’epoque de l’entree des Israelites en Pale-
stine, in: Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire Orientales et Slaves,
t. IV 1936, 847 ff.
3 Jos 1950 2430; vgl. dazu Ed. Meyer, Israeliten, S. 476.
4 Vgl. G. Hölscher, in Pauly-Wissowa, Realencyklopädie, Art. „Ma-
nasse“ Sp. 974 f.
5 Vgl. Ed. Meyer, Israeliten, S. 522.
6 Zur Literatur vgl. A. Lods, a.a.O. Die Ausgrabungen der Mme Mar-
quet in et-Tell haben daselbst eine alte kanaanäische Königsstadt des 3. Jahr-
tausends (mit Palast, Tempel, dreifacher Ringmauer, Stadtgräben und einer
Nekropole im NO) aufgedeckt, die um 2000 zerstört wurde und bis gegen 1200
unbewohnt blieb. Den Israeliten ist die Stätte nur unter dem Namen ha-‘Ai
„die Trümmerstätte“ bekannt gewesen, was nicht der Name der alten Königs-
stadt gewesen sein kann.
an, vielleicht ein Hierodulengeschlecht, das unter der israelitischen
Bevölkerung der Stadt wohnte1. Die Sage von ha-‘Ai führt die
Unbewohntheit dieser Trümmerstätte auf eine Zerstörung durch
die einwandernden Israeliten zurück2. Die Gib‘onsage endlich er-
klärt das Dienstverhältnis der Gib‘oniten am Tempel, offenbar dem
zu Jerusalem, aus einem Vertrage, den die israelitischen Eroberer
mit den kanaanitischen Bewohnern des Ortes geschlossen haben
sollen. Der historische Gehalt aller dieser Sagen ist sehr dürftig.
Die Eroberung jener Orte wird dem Josua bin-Nun (,,Fisch“) zu-
geschrieben, dem efraimitischen Heros von Timnat-Cheres, dessen
Grab man daselbst zeigte3. Darin lebt Erinnerung fort an die Zeit,
da die Benjaminiten, die „Leute des Südens“, sich noch nicht von
den übrigen Efraimiten, dem „Hause Josefs“, als eigener Stamm
getrennt hatten4. Die Eroberung Jerichos durch die Benjaminiten
scheint also ein Nachklang jener kriegerischen Ausbreitung des
Hauses Josefs vom Gebirge Efraim aus nach Süden zu sein und
wird in sehr frühe Zeit, etwa ins 13. Jahrhundert, fallen5. Die Sage
von der Eroberung von ha-‘Ai durch die Israeliten ist rein legen-
därer Art, wie sich aus den Ausgrabungen von 1933'—34 in et-Tell
ergeben hat6. Die Gib‘onsage hängt zusammen mit einem großen
Siege bei Gib‘on, an den das Lied Jos 10i2f. eine Erinnerung be-
wahrt; der Liedspruch wird dort von E dem Josua in den Mund
gelegt, doch könnte das Lied sich ursprünglich auf den Sieg Davids
über die Philister 2. Sam 525 (Jes 2821) beziehen.
Noch spärlicher als in dieser Darstellung der Eroberung benja-
minitischen Gebietes ist der historische Gehalt dessen, was in Jud 1
1 Vgl. H. Windisch, ZAW XXXVII 1919, 188ff.; G. Hölscher, ZAW
XXXVIII 1920, 54ff.
2 A. Lods, Les Fouilles d’A'i ä l’epoque de l’entree des Israelites en Pale-
stine, in: Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire Orientales et Slaves,
t. IV 1936, 847 ff.
3 Jos 1950 2430; vgl. dazu Ed. Meyer, Israeliten, S. 476.
4 Vgl. G. Hölscher, in Pauly-Wissowa, Realencyklopädie, Art. „Ma-
nasse“ Sp. 974 f.
5 Vgl. Ed. Meyer, Israeliten, S. 522.
6 Zur Literatur vgl. A. Lods, a.a.O. Die Ausgrabungen der Mme Mar-
quet in et-Tell haben daselbst eine alte kanaanäische Königsstadt des 3. Jahr-
tausends (mit Palast, Tempel, dreifacher Ringmauer, Stadtgräben und einer
Nekropole im NO) aufgedeckt, die um 2000 zerstört wurde und bis gegen 1200
unbewohnt blieb. Den Israeliten ist die Stätte nur unter dem Namen ha-‘Ai
„die Trümmerstätte“ bekannt gewesen, was nicht der Name der alten Königs-
stadt gewesen sein kann.