92 G. Hölscher: Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung
Daß der Verfasser Judäer ist, erkennt man auch an der Her-
kunft der von ihm verarbeiteten Überlieferungen. Ein Teil dieser
Überlieferungen ist zwar von Haus aus israelitisch — die israe-
litische Überlieferung erweist sich auch hier als die ältere und meist
auch urwüchsigere —, aber die israelitischen Stoffe sind vom judäi-
schen Gesichtspunkte aus gesehen und vielfach umgestaltet.
Das zeigt sich schon in der Urgeschichte, deren Stoffe im allge-
meinen kanaanäisch-israelitischer Herkunft sind. Ein Einschlag
aus südlicher Tradition kommt in diese hinein, wenn Kain, der
Eponymus des kenitischen Nomadenstammes, als Stammvater der
Menschheit erscheint* 1. Die Figur des Weinbauers Noah ist kanaa-
näischen Ursprungs, aber der ihm in den Mund gelegte Segen Gen
920-27 vertritt großisraelitischen, d. h. judäischen Standpunkt, wenn
er Kanaan als den Knecht Scherns (Israels) und Jafet als Gast
,,in den Zelten Scherns“ hinstellt.
Die Genealogie der Vätersage macht zwar zum eigentlichen
Vater der Stämme Jakob, den Helden, der mit Göttern und Men-
schen gerungen und gesiegt hat, Gen 3229; seine Lieblingsfrau ist
Rachel, die Heroine von Efrat und Mutter Josefs und Benjamins,
der beiden Lieblingssöhne Jakobs. Aber die Charakterzeichnung
Jakobs ist nicht freundlich; er betrügt Vater und Bruder, betrügt
den Schwiegervater, und seine Rolle ist in all diesen Sagen durch-
aus nicht heldenhaft. Abraham und Isaak, die Heroen des Südens,
werden ihm als Großvater und Vater übergeordnet. Der eigent-
liche Held des J ist Abraham, der fromme, edelmütige und gast-
freie. Er erhält den Segen, daß er Vater eines mächtigen und be-
rühmten Volkes werden Gen 122-3 und daß seine Nachkommen das
Land besitzen sollen Gen 127. Abraham ist es, der die Altäre an
den heiligen Stätten Israels, Sichern, Betel und Mamre, baut Gen
127f. 12i8. Isaak stellt durch Vertrag mit Abimelek die Grenze
israelitischen Besitzes gegen die Philister fest Gen 2Ö26ff.; er er-
hält bei der Geburt seiner Söhne die Verheißung, daß Esau, der
ältere, Jakob, dem jüngeren, dienen soll Gen 2523; auch hier ver-
tritt Jakob Juda bzw. Groß-Israel.
1 Auch sonst spielt Kain bei J eine Rolle. Moses Schwiegervater ist der
Keniter Chobab ben Reüel (Re‘uel nach Gen 3610 ein Sohn Esaus, also ein
edomitischer Clan). Die Keniter gehören zu den David befreundeten Stämmen
1. Sam 2710 3 029. Erst J2 Gen 42_16 beurteilt Kain weniger freundlich, ebenso
E l.Sam 156 Num 2421f.
Daß der Verfasser Judäer ist, erkennt man auch an der Her-
kunft der von ihm verarbeiteten Überlieferungen. Ein Teil dieser
Überlieferungen ist zwar von Haus aus israelitisch — die israe-
litische Überlieferung erweist sich auch hier als die ältere und meist
auch urwüchsigere —, aber die israelitischen Stoffe sind vom judäi-
schen Gesichtspunkte aus gesehen und vielfach umgestaltet.
Das zeigt sich schon in der Urgeschichte, deren Stoffe im allge-
meinen kanaanäisch-israelitischer Herkunft sind. Ein Einschlag
aus südlicher Tradition kommt in diese hinein, wenn Kain, der
Eponymus des kenitischen Nomadenstammes, als Stammvater der
Menschheit erscheint* 1. Die Figur des Weinbauers Noah ist kanaa-
näischen Ursprungs, aber der ihm in den Mund gelegte Segen Gen
920-27 vertritt großisraelitischen, d. h. judäischen Standpunkt, wenn
er Kanaan als den Knecht Scherns (Israels) und Jafet als Gast
,,in den Zelten Scherns“ hinstellt.
Die Genealogie der Vätersage macht zwar zum eigentlichen
Vater der Stämme Jakob, den Helden, der mit Göttern und Men-
schen gerungen und gesiegt hat, Gen 3229; seine Lieblingsfrau ist
Rachel, die Heroine von Efrat und Mutter Josefs und Benjamins,
der beiden Lieblingssöhne Jakobs. Aber die Charakterzeichnung
Jakobs ist nicht freundlich; er betrügt Vater und Bruder, betrügt
den Schwiegervater, und seine Rolle ist in all diesen Sagen durch-
aus nicht heldenhaft. Abraham und Isaak, die Heroen des Südens,
werden ihm als Großvater und Vater übergeordnet. Der eigent-
liche Held des J ist Abraham, der fromme, edelmütige und gast-
freie. Er erhält den Segen, daß er Vater eines mächtigen und be-
rühmten Volkes werden Gen 122-3 und daß seine Nachkommen das
Land besitzen sollen Gen 127. Abraham ist es, der die Altäre an
den heiligen Stätten Israels, Sichern, Betel und Mamre, baut Gen
127f. 12i8. Isaak stellt durch Vertrag mit Abimelek die Grenze
israelitischen Besitzes gegen die Philister fest Gen 2Ö26ff.; er er-
hält bei der Geburt seiner Söhne die Verheißung, daß Esau, der
ältere, Jakob, dem jüngeren, dienen soll Gen 2523; auch hier ver-
tritt Jakob Juda bzw. Groß-Israel.
1 Auch sonst spielt Kain bei J eine Rolle. Moses Schwiegervater ist der
Keniter Chobab ben Reüel (Re‘uel nach Gen 3610 ein Sohn Esaus, also ein
edomitischer Clan). Die Keniter gehören zu den David befreundeten Stämmen
1. Sam 2710 3 029. Erst J2 Gen 42_16 beurteilt Kain weniger freundlich, ebenso
E l.Sam 156 Num 2421f.