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Hölscher, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 3. Abhandlung): Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42028#0101
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Geschichte und Idee

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länger; man will wissen, wie die Umwelt des Menschen wirklich
beschaffen, wie die Vergangenheit wirklich gewesen ist. Aus die-
sem Triebe ist bei den Griechen Ioniens im Zusammenhang mit
Seereisen in ferne Länder und mit der Ausbreitung des Seehandels
Erdkunde, Naturwissenschaft und Geschichtsschreibung entstan-
den. Bei den Israeliten fehlten zwar gleich günstige Bedingungen,
und das ist einer der Gründe dafür, daß sich Geographie und Natur-
wissenschaft bei ihnen nicht entwickeln konnten; ihr Weltbild ist
bis in die späteste Zeit ein durchaus mythisches geblieben, wie man
es z. B. im Buche Hiob oder in den apokalyptischen Schriften er-
kennen kann, von der talmudischen Literatur zu schweigen. Immer-
hin darf man daran erinnern, daß in der Zeit des Königtums der
politische und geographische Horizont Israels sich allmählich er-
weitert hat. Salomo trieb Handel mit Ägyptern, Aramäern und
Chittitern 1. Reg 10-28f., und der Besitz des edomitischen Gebietes
eröffnete die Möglichkeit eines Seehandels auf dem Roten Meere
1. Reg 9‘26—28.1 Es zeigt sich denn auch bei J eine gewisse Kenntnis
fremder Völker2 und ein Interesse an fremden Bräuchen und Ein-
richtungen3. Man begreift von da aus auch seinen Eifer, lokale
Traditionen zu sammeln, Ortsnamen ätiologisch zu erklären, über
die Bevölkerungsverhältnisse in den einzelnen Gebieten und Städ-
ten Angaben zu machen. Die Vergleichung mit fremden Völkern
und Sitten ruft auch die Kritik hervor. Von einer rein rationalen
Kritik, die wie der ionische Rationalismus ein Wirken der Gott-
heit leugnet und nur noch eine rein innerweltliche Ursächlichkeit
kennt, kann zwar in Israel nicht die Rede sein; aber auch hier
sehen wir, wie ein rationaler Faktor anfängt auf die religiösen An-
schauungen einzuwirken. J vermeidet es, ein leibliches Auftreten
der Gottheit zu beschreiben. Das Zauberhafte der Volkssage ver-
schwindet und das göttliche Handeln vollzieht sich durch natür-
liche Medien; nur im Hintergründe der Dinge waltet die Gottheit
und bestimmt den Lauf des Geschehens (Gen 24 oder Gen 37ff.)-
Geschichtsschreibung entsteht aber erst dann, wenn ein Volk
eigene Geschichte erlebt. Ursprüngliche Geschichtsschreibung ist
deshalb überall Geschichte der eigenen Zeit oder richtiger der noch
1 Daher das Interesse der judäischen Könige am Besitze Edoms durch
den nicht nur die Beherrschung der Karawanenstraße von Arabien an die
Mittelmeerküste, sondern auch der Zugang zum Roten Meere bedingt war.
2 Vgl. die Genealogien in der Sage.
3 Siehe oben S. 62.
 
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