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Lullus, Raimundus; Hofmann, Joseph Ehrenfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 4. Abhandlung): Ramon Lulls Kreisquadratur — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42029#0015
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Ramon Lulls Kreisquadratur

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Betrachten wir Lulls Ergebnisse rückschauend im Zusammen-
hang! Was er findet, hat mit der Mathematik des Wirklichen und
sinnlich Wahrnehmbaren nicht viel zu tun; es ist vielmehr die
Frucht eines mystischen Sich-Versenkens, das durch den Anblick
der mathematischen Figuren angeregt wird und daher zu realen
Handgreiflichkeiten weder führen kann, noch soll. Dies zeigt sich
sehr deutlich darin, daß Lull für die einzelnen von ihm verwen-
deten Figuren gar keine Konstruktionsvorschriften gibt; es wäre
z. B. sehr interessant zu erfahren, wie er das regelmäßige Fünfeck
und das regelmäßige Siebeneck praktisch gezeichnet hat. Lull be-
schränkt sich aber durchaus auf die theoretische Möglichkeit seiner
Figuren. Aus der Welt der Wirklichkeit ist immerhin noch soviel
verblieben, daß man Lulls Betrachtungen durchaus nicht als un-
vernünftig abtun darf. Im Gegenteil! Die allgemeine Formulie-
rung des Segmentensatzes und des Seitensatzes ist, richtig als Keim-
ling späterer allgemeiner Methoden verstanden, von erheblichem
methodischem Wert und bestimmt eine gedanklich wichtigere Lei-
stung als das, was uns in den zahlreichen recht schwachen und
banalen, wenn schon richtigen Rechnungen aus der gleichen Zeit
erhalten ist.
Den nämlichen Schwung, den gleichen Zug zur Allgemeinheit
finden wir auch beim Cu saner wieder, der die Mathematik unter
ähnlichem Gesichtswinkel sieht und erlebt wie Lull. Freilich, der
Cusaner ist zugleich auch der feingebildete Weltmann; er schaltet
bewußt mit dem Erbe der Vergangenheit, um zugleich dadurch die
Mittel zu gewinnen, auf die Gegenwart zu wirken; er macht den
großartigen Versuch, die ihn umgebende Welt der Spannungen
und Gegensätze harmonisch zu einen und geordnet zu überblicken.
In seinem Geiste spiegelt sich das Lull sehe Gedankengut wesent-
lich anders; alles ist viel verwickelter, viel feiner durchdacht und
reicher verästelt. Auf die hochinteressanten sich ergebenden wissen-
schaftsgeschichtlichen Entwicklungslinien kann ich hier nur in ver-
hältnismäßig kurzen Andeutungen eingehen und behalte mir die
Darstellung des gesamten Abhängigkeitsgefüges für eine spätere
Gelegenheit vor.
Der beim Cusaner immer wiederkehrende Satz von der In-
kommensurabilität zwischen Kreisbogen und Sehne ist unmittelbar
aus Lull entnommen. Daß dieser merkwürdige Satz auf Averroes
zurückgeführt werden kann, scheint schon den Spätscholastikern
entschwunden zu sein. Er muß aber in kirchlichen Kreisen eine
 
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