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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0034
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Karl Engisch:

stände, welche einer und derselben Spezies unterstehen“1. Diese
Ansicht scheint mir jedoch gerade für die juristischen Begriffe mit
ihrer Wandlungsfähigkeit und Dynamik nicht einleuchtend zu sein.
Diese Begriffe sind keine „idealen Einheiten“, zu denen wir uns vom
Einzelfall emporblickend wie zu unverrückbaren Leitbildern erhe-
ben können. Sie sind Zusammenfassungen von Objekten und Vor-
gängen in weitestem Sinne zu Gruppen und Klassen, die um einer
gleichartigen juristischen Bewertung und Behandlung willen gebil-
det werden. Mit der fortwährenden Entwicklung des Begriffs durch
Wissenschaft und Praxis wandelt sich ständig der Umfang der Klas-
se und verändert sich natürlich auch der Inhalt des Begriffs. Das
gilt sowohl für die gesetzlichen Tatbestandsbegriffe wie auch für
solche Begriffe, die nach hermeneutischen Kegeln anstelle der ge-
setzlichen Tatbestandsbegriffe die Vergleichungsgesichtspunkte ab-
gehen sollen („Dunkelheit“ usw.). Aber wie sollen wir dann die
„Hinsicht“, den „Gesichtspunkt“ der Vergleichung deuten? Nun:
wenn ich sage, ein Diebstahl im ersten Morgengrauen ist einem Dieb-
stahl mitten in der Nacht unter dem Gesichtspunkt der Dunkelheit
gleichzuachten, während ein Diebstahl bei beginnender Morgenröte,
wenn die Gegenstände sich schon unterscheiden lassen und die Si-
tuation zu überblicken ist, einem Diebstahl mitten in der Nacht
nicht gleichgestellt werden kann (und zwar wiederum „hinsichtlich“
der Dunkelheit, nicht etwa „hinsichtlich“ der Nachtruhe der Be-
wohner, im Hinblick auf die es ganz anders stehen mag), so kann

1 Husserl, Logische Untersuchungen II 1, 4. Aull. 1928, S. 112/13.
Überhaupt sind mit den folgenden Darlegungen die grundsätzlich abweichen-
den Ausführungen Husserls a.a.O. S. 106, 124 zu vergleichen. Selbstver-
ständlich ist es nicht möglich, hier in eine Auseinandersetzung mit seinen Ar-
gumenten einzutreten. Wir müssen uns auch hier mit der Darlegung der
eigenen gegensätzlichen, übrigens bereits in Arch. Rechts- und Sozialphilo-
sophie XXX, S. 134ff. vertretenen Meinung begnügen. Speziell zu Husserl
noch Messer, Empfindung und Denken, 3. Aufl. 1928, S. 136ff. In der glei-
chen Richtung wie Husserl: Cassirer, Substanzbegriff, 1910, S. 33; Philos.
d. symbolischen Formen III, 1929, S. 186/87, 262f.; Burkamp, Logik, 1932,
§§ 78, 103 („Gleichheit bedeutet Identität eines Begriffes in sonstwie Verschie-
denem“) und Stumpf, Erkenntnislehre I, 1939, S. 84ff. („Gleichheit heißt:
Identität der Art nach“. „Überall und immer, wo und wann von Gleichheit
zweier Dinge, Vorgänge, Erscheinungen die Rede ist, muß gefragt Averden:
In welcher Hinsicht? Es muß mit anderen Worten die Gattung namhaft
gemacht werden, um deren Artbegriff es sich handelt .... Ohne solche An-
gabe des Gattungsbegriffs, in bezug auf welchen Gleichheit stattfinden soll,
bleibt der Gleichheitsbegriff unbestimmt und sinnlos“.)
 
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