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Kolbe, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1942/43, 1. Abhandlung): Die ätolischen Soterien und die attische Archontenforschung — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42031#0075
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Die ätolischen Soterien und die attische Archontenforschung 67
lehrten unternommene Versuch, diesem Schweigen zum Trotz eine
Verbindung zwischen Thukydides und der Urkunde herzustellen,
führte, wie sich nachweisen ließ, zu einer Vergewaltigung des
Schriftstellers und der Geschichte1. Was in den glücklichen Jahr-
hunderten der griechischen Geschichte Ausnahme gewesen ist, ist
im hellenistischen Zeitalter Regel geworden. Die Urkunden — nicht
nur von Heiligtümern wie Delphi, sondern auch die des Stadtstaates
Athen — behandeln in der Mehrzahl der Fälle Vorgänge von örtli-
chem Interesse. Das Leben der griechischen Polis ist bescheiden
geworden und verläuft in stillen Bahnen fernab vom großen Gesche-
hen der Welt. Die Geschichtsschreibung nimmt nur ausnahmsweise
von ihren Begebenheiten Notiz, so daß die Hilfe literarischer Über-
lieferung den Inschriften seltener zuteil wird. Dazu kommt die wei-
tere Schwierigkeit, daß mit dem Aufhören der Archontenlisten bei
Diodor und Dionys. Hai. die Reihenfolge der Jahresbeamten zu
einem Problem geworden ist, das in vielen Fällen überhaupt nicht
mit Sicherheit zu lösen ist. Der einzelne Archontenname, früher
eine historische Gegebenheit, ist Schall und Rauch. Wenn das schon
von den athenischen Eponymen gelten muß, die immerhin hier und
da in der Geschichte der Philosophenschulen oder in literargeschicht-
lichen Bemerkungen genannt und durch Hinzufügung zeitlicher
Angaben festgelegt werden, dann erst recht von denen Delphis.
Seine Archonten spielen in der Literatur überhaupt keine Rolle.
Daher hat P. Roussel einmal, gewiß ohne von Koehlers Warnun-
gen eine Ahnung zu haben, von der Gefahr gesprochen, daß ein Irr-
tum in der Wahl des chronologischen Systems eine Quasihistorie zur
Folge haben könne. Dieser Scylla zu entgehen, muß die dringende
und ständige Sorge des Historikers sein. Den Weg dazu bietet nicht
die Befolgung einer systematischen Methode, wie es das Schreiber-
gesetz ist. Im Gegenteil, hier lauert trotz scheinbar logisch befrie-
digender Ergebnisse dauernd die Gefahr, daß eine Störung in der
Phylenfolge oder auch nur eine von den Alten in politischer Absicht
vorgenommene Umstellung (s. S. 58f.) für die an einem starren Sy-
stem festhaltende Forschung bleibende und sich in der Folgezeit
immer stärker auswirkende Fehler zur Folge hat. Eingedenk der
Mahnung Koehlers müssen wir vielmehr darauf bedacht sein, jede
Möglichkeit zur Auswertung der historischen Zeugnisse im weitesten
Sinn auszunutzen und ihre Aussagen zur Grundlage unseres Auf-
1 Meritt und West, Athenian Assessment. Dazu meine Abhandlung in
den SB. Berlin 1937.
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