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Gustav Hölscher
das ägäische Meer im weiteren Umfange denken will, kann man dar-
unter den Hellespont oder die Propontis verstehen. Von Käräsö
läuft die Grenze „mitten“1 in das Große Meer und geht geradeaus,
bis sie den Westen der Zunge, die nach Süden schaut, erreicht“; sie
geht also, nördlich von Kreta, welches zu Sem gehört (913), nach
Westen hin durchs Mittelmeer und neigt sich dann nach Süden,
„nach dem Munde des Großen Meeres an den Lippen der Wasser“,
um von da aus „nach dem Westen von 'Afrä2, d. h. Afrika zu gehen.
Der Ausdruck „die Lippen der Wasser des Meeres“ kehrt bei der
Grenze Chäms wieder (823); diese geht, nachdem sie den Süden der
Erde in westlicher Richtung bis zum Meere 'Atil (Άτλαντίς) durch-
laufen hat, weiter bis zum Meere Mä’ük (dem Ozean) und gelangt im
Norden „an die Grenze von Gädir“ und an „die Lippen der Wasser
des Meeres, an das Jenseits des Großen Meeres, bis sie den Fluß
Gejön (Nil) erreicht“. Die „Lippen der Wasser des Meeres“ sind also
offenbar die Mündung des Mittelmeers in den Ozean an der Straße
von Gibraltar3. Bis dahin würde demnach die Grenze Sems nach
Westen hin reichen. Die Südgrenze zieht sich vom Westen von "Afra,
d. i. Afrika, bis zum Nil. Unter Afrika ist natürlich nicht der Erdteil
Afrika zu verstehen, der erst bei den Römern zur Bezeichnung des
von den Griechen Libyen genannten Erdteils wird4; bei den griechi-
schen Schriftstellern ist Αφρική immer im engeren Sinne das von
den Karthagern unterworfene und diesen benachbarte Gebiet an der
Nordküste des Erdteils, vornehmlich das der 146 v. Chr. eingerich-
teten römischen Provinz Africa, die vom Flusse Tusca (bei der Stadt
und Insel Thabraca) bis Thaenae (am Golf von Gabes) reichte5. Die
weitere Südgrenze Sems folgt dem Laufe des Nils „nach dem Süden
des Wassers des Gejön, nach den Ufern dieses Flusses“, läuft also
offenbar zuerst von der Nilmündung südwärts, biegt dann nach
Osten um bis zum Südende des Gartens 'Eden, umzieht den Osten
1 Ich lese nach Dillmanns Handschrift A ma’ lcala „in die Mitte“, wäh-
rend Charles mit den anderen Handschriften mangala „gegen“ liest, was er
seiner Auffassung zuliebe mit „along“ übersetzt.
2 Die Handschriften variieren im Text: A: 'araba wafärä, B: 'araba'afrä,
C: 'arab 'äfarä, D: 'arab 'ärafä.
3 Statt mäNdäta „jenseits“ C best Charles mäjäta „Wasser“. Dann
wäre hier nicht der äußerste Westpunkt, sondern bereits die Zurücklenkung der
Linie zum Mittelmeere beschrieben.
4 Sallust., Jugurth. 17; Plin. III, 3f.; Mela I, 8.
5 Plin. V, 22, 23, 25; Ptolem. IV, 3; vgl. Pauly-Wissowa, RE Art.
„Africa“.
Gustav Hölscher
das ägäische Meer im weiteren Umfange denken will, kann man dar-
unter den Hellespont oder die Propontis verstehen. Von Käräsö
läuft die Grenze „mitten“1 in das Große Meer und geht geradeaus,
bis sie den Westen der Zunge, die nach Süden schaut, erreicht“; sie
geht also, nördlich von Kreta, welches zu Sem gehört (913), nach
Westen hin durchs Mittelmeer und neigt sich dann nach Süden,
„nach dem Munde des Großen Meeres an den Lippen der Wasser“,
um von da aus „nach dem Westen von 'Afrä2, d. h. Afrika zu gehen.
Der Ausdruck „die Lippen der Wasser des Meeres“ kehrt bei der
Grenze Chäms wieder (823); diese geht, nachdem sie den Süden der
Erde in westlicher Richtung bis zum Meere 'Atil (Άτλαντίς) durch-
laufen hat, weiter bis zum Meere Mä’ük (dem Ozean) und gelangt im
Norden „an die Grenze von Gädir“ und an „die Lippen der Wasser
des Meeres, an das Jenseits des Großen Meeres, bis sie den Fluß
Gejön (Nil) erreicht“. Die „Lippen der Wasser des Meeres“ sind also
offenbar die Mündung des Mittelmeers in den Ozean an der Straße
von Gibraltar3. Bis dahin würde demnach die Grenze Sems nach
Westen hin reichen. Die Südgrenze zieht sich vom Westen von "Afra,
d. i. Afrika, bis zum Nil. Unter Afrika ist natürlich nicht der Erdteil
Afrika zu verstehen, der erst bei den Römern zur Bezeichnung des
von den Griechen Libyen genannten Erdteils wird4; bei den griechi-
schen Schriftstellern ist Αφρική immer im engeren Sinne das von
den Karthagern unterworfene und diesen benachbarte Gebiet an der
Nordküste des Erdteils, vornehmlich das der 146 v. Chr. eingerich-
teten römischen Provinz Africa, die vom Flusse Tusca (bei der Stadt
und Insel Thabraca) bis Thaenae (am Golf von Gabes) reichte5. Die
weitere Südgrenze Sems folgt dem Laufe des Nils „nach dem Süden
des Wassers des Gejön, nach den Ufern dieses Flusses“, läuft also
offenbar zuerst von der Nilmündung südwärts, biegt dann nach
Osten um bis zum Südende des Gartens 'Eden, umzieht den Osten
1 Ich lese nach Dillmanns Handschrift A ma’ lcala „in die Mitte“, wäh-
rend Charles mit den anderen Handschriften mangala „gegen“ liest, was er
seiner Auffassung zuliebe mit „along“ übersetzt.
2 Die Handschriften variieren im Text: A: 'araba wafärä, B: 'araba'afrä,
C: 'arab 'äfarä, D: 'arab 'ärafä.
3 Statt mäNdäta „jenseits“ C best Charles mäjäta „Wasser“. Dann
wäre hier nicht der äußerste Westpunkt, sondern bereits die Zurücklenkung der
Linie zum Mittelmeere beschrieben.
4 Sallust., Jugurth. 17; Plin. III, 3f.; Mela I, 8.
5 Plin. V, 22, 23, 25; Ptolem. IV, 3; vgl. Pauly-Wissowa, RE Art.
„Africa“.