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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0006
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Friedrich Panzer

ritter hat er sich solch herausfordernden Spott geleistet. Und doch
entbehrte er auch nicht der guten Seite. Hartmanns Erec
(4633ff.) schildert ausführlich das Zwiespältige seines Charakters.
Sin herze was genieret, sagt er, d. h. so. wie ein in Quartiere geteilter
Schild: er Mar heute falsch und morgen voll Reue über sein Ver-
halten und lauter wie ein Spiegelglas, war heute kühn und morgen
ein Feigling. Oh seiner hämischen Art ward er der kätspreche, der
Böses Redende, genannt. Wolfram aber nimmt ihn ernstlicher
in Schutz: er sei in Wahrheit treu und kühn gewesen, und wenn er
sich öfter rauh zeigte, so geschah dies im wohlverstandenen Dienste
seines Herrn. An dessen Hof kamen eben viele Fremde, würdige
wie nichtsnutzige. Kei war ihr merkeere, ihr Aufpasser und Richter;
nur die Betrüger wies er ab, was ihm denn freilich viel Abneigung
zuzog. Aber — und hier setzt die uns angehende Stelle ein (297,
16) — auch heute noch wäre es nützlich, wenn Fürstenhöfen ein
solcher Merker bestellt wäre:
Von Düringen viirste Herman,
etslich din ingesinde ich maz,
daz üzgesinde hieze baz.
dir wsere ouch eins Keien not,
sit wäriu milte dir gebot
so manecvalten anehanc,
etswä smsehlicli gedranc
und etsivä werdez dringen,
des muoz her Walther singen:
,,guoten tac, bosse unde guotl“
swä man solhen sanc nü tuot,
des si/it -die valschen geret.
Keie hetes in niht geleret.
D as heißt also: „Fürst Hermann von Thüringen, unter deinem Ge-
sinde schätzte ich manche darauf ein, daß man sie besser Gesindel
heißen sollte. (So darf ich das Wortspiel vom in- und üzgesinde
wiedergehen.) Du hättest auch einen Keie nötig, nachdem deine
echte Freigebigkeit dir einen so gemischten Anhang verschafft hat:
dort schamlose Zudringlichkeit und hier würdiges Drängen (wie
das die mittelalterliche Flofsitte vor dem Herrn erfordert). Infolge-
dessen muß Herr Walther singen: „Guten Tag, Taugenichtse und
Würdige! Wo man zu solchem Sange gezwungen ist, da werden
die Falschen geehrt.“
Was Wolfram hier ausführt, trifft sehr genau mit einem be-
kannten Spruche Walthers von der Vogelweide (20, 4 der Fach-
 
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