Vom mittelalterlichen Zitieren
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MANNschen Ausgabe) zusammen, der gleichfalls sich mit dem Trei-
ben am Hofe des Thüringer Landgrafen beschäftigt:
Der in den ören siech von ungesühte st,
daz ist min rät, der läz den hof ze Dürengen fri:
wan kumet er dar, deswär er wirt ertceret.
ich hän gedrungen, unz ich niht me dringen mac.
ein schar vert üz, diu ander in, naht unde tac.
gröz wunder ist, daz iemen da gehceret.
der lantgräve ist so gemuot,
daz er mit stolzen beiden sine habe vertuot,
der iegeslicher wol ein kenpfe wsere.
mir ist sin hohiu fuore kunt:
und gulte ein fuoder guotes wines tüsent pfunt,
da stüende ouch niemer ritters becher laere.
„Wer ohrenleidend ist, dem rate ich, sich fernzuhalten vom
Thüringer Hofe; denn kommt er dorthin, so wird er gewiß vollends
taub. Ich habe versucht, mich dem Herrn verehrend zu nahen,
doch nun kann ich nicht mehr. Eine Schar fährt aus, die andre ein,
bei Nacht und bei Tag. Ein Wunder ist’s, daß dort überhaupt noch
jemand hört. Der Landgraf ist so gesinnt, daß er mit stolzen Helden
seine Habe vertut, deren jeder wohl als Kämpe (d. h. wohl: gegen
Bezahlung im gerichtlichen Zweikampfe) aufträte (— ein nicht eben
geschätzter Beruf). Ich kenne genau seine hochgemute Art: und
müßte man ein Fuder guten Weines mit tausend Pfund bezahlen,
bei ihm stünd doch nie eines Ritters Becher leer.“
Man sieht: inhaltlich besagt Walthers Spruch genau dasselbe,
was Wolfram an des Landgrafen Verhalten hervorhebt und tadelt:
seine Gunst und Freigebigkeit macht keinen Unterschied zwischen
Würdigen und Unwürdigen unter den zahlreichen Gästen, die sich
in sein Gesinde drängen. Von beiden Dichtern also wird der Land-
graf gerühmt wie getadelt und auch der Wortlaut klingt mehrfach
zusammen, die Stichwörter ingesinde und dringen finden sich hier
wie dort. Aber es fehlen in Walthers Spruch die von Wolfram zi-
tierten Worte: ,Guoten tac, bcese unde guotV Es muß also — dies ist
die allgemeine Auffassung, wie sie zuletzt noch von L. Wolff
(ZfdA. 61, 1924, 189) und E. Schröder (ebd. 63, 1926, 224) ver-
treten wurde — es muß einen uns verlorenen Spruch Walthers ge-
geben haben, in dem diese Worte standen. Vermutlich als Anfangs-
zeile, und so haben V. Michels (in Wilmanns Waltherausgabe,
4. Aufl., S. 443) und E. ScHRÖDER(a. a. 0.) die Meinung ausgespro-
chen, daß dies verlorene Gedicht dem sog. Leopolds- oder ersten
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MANNschen Ausgabe) zusammen, der gleichfalls sich mit dem Trei-
ben am Hofe des Thüringer Landgrafen beschäftigt:
Der in den ören siech von ungesühte st,
daz ist min rät, der läz den hof ze Dürengen fri:
wan kumet er dar, deswär er wirt ertceret.
ich hän gedrungen, unz ich niht me dringen mac.
ein schar vert üz, diu ander in, naht unde tac.
gröz wunder ist, daz iemen da gehceret.
der lantgräve ist so gemuot,
daz er mit stolzen beiden sine habe vertuot,
der iegeslicher wol ein kenpfe wsere.
mir ist sin hohiu fuore kunt:
und gulte ein fuoder guotes wines tüsent pfunt,
da stüende ouch niemer ritters becher laere.
„Wer ohrenleidend ist, dem rate ich, sich fernzuhalten vom
Thüringer Hofe; denn kommt er dorthin, so wird er gewiß vollends
taub. Ich habe versucht, mich dem Herrn verehrend zu nahen,
doch nun kann ich nicht mehr. Eine Schar fährt aus, die andre ein,
bei Nacht und bei Tag. Ein Wunder ist’s, daß dort überhaupt noch
jemand hört. Der Landgraf ist so gesinnt, daß er mit stolzen Helden
seine Habe vertut, deren jeder wohl als Kämpe (d. h. wohl: gegen
Bezahlung im gerichtlichen Zweikampfe) aufträte (— ein nicht eben
geschätzter Beruf). Ich kenne genau seine hochgemute Art: und
müßte man ein Fuder guten Weines mit tausend Pfund bezahlen,
bei ihm stünd doch nie eines Ritters Becher leer.“
Man sieht: inhaltlich besagt Walthers Spruch genau dasselbe,
was Wolfram an des Landgrafen Verhalten hervorhebt und tadelt:
seine Gunst und Freigebigkeit macht keinen Unterschied zwischen
Würdigen und Unwürdigen unter den zahlreichen Gästen, die sich
in sein Gesinde drängen. Von beiden Dichtern also wird der Land-
graf gerühmt wie getadelt und auch der Wortlaut klingt mehrfach
zusammen, die Stichwörter ingesinde und dringen finden sich hier
wie dort. Aber es fehlen in Walthers Spruch die von Wolfram zi-
tierten Worte: ,Guoten tac, bcese unde guotV Es muß also — dies ist
die allgemeine Auffassung, wie sie zuletzt noch von L. Wolff
(ZfdA. 61, 1924, 189) und E. Schröder (ebd. 63, 1926, 224) ver-
treten wurde — es muß einen uns verlorenen Spruch Walthers ge-
geben haben, in dem diese Worte standen. Vermutlich als Anfangs-
zeile, und so haben V. Michels (in Wilmanns Waltherausgabe,
4. Aufl., S. 443) und E. ScHRÖDER(a. a. 0.) die Meinung ausgespro-
chen, daß dies verlorene Gedicht dem sog. Leopolds- oder ersten