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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0011
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Vom mittelalterlichen Zitieren

11

Ob ir niht anders hetet, des ir möhl geleben,
ich wolde iu einer spise den vollen immer geben,
sniten in öl gebrouwen: deist Rümoldes rät,
sit ez ez sus angestlichen erhaben da zen Hiunen stät.
„Wenn ihr nichts anderes hättet, euch zu ernähren, so wollte ich
euch eine Speise in Fülle vorsetzen: Schnitten in Oi gesotten. Das
ist Rumolts Rat, nachdem es bei den Heunen so bedenklich steht.“
Keine Frage, daß diese C*-Form von Rumolds Rat mit den Par-
zivalversen in literarischer Beziehung steht. Wie die aber zu deuten
sei, welche der beiden Äußerungen die ältere ist, welche die ent-
lehnte, ist lebhaft umstritten. J. Zacher (ZfdPh. 2, 1870, 504ff.),
E. Martin (ZfdA. 32, 1888, 384ff.; Wolframs v. Eschene ach
Parzival u. Titurel, 2. Bd., 1903, S. LXXXVIf.), H. Fischer (Über
die Entstehung des Nibelungenliedes 1914, S. 19), F. Wilhelm
(Münchener Arch. 7, 1916, 14ff.), A. Heusler (Nibelungensage u.
Nibelungenlied2, 1922, S. 110) nahmen an, Wolfram habe den
Vulgattext des Liedes (Martin: die alten Einzellieder) vor sich ge-
habt und scherzhaft übertreibend anstatt der dort nur allgemein
genannten guoten spise die gebähten Schnitten eingeführt. Dieser
Scherz sei dann, durch den Verfasser von C* aus dem Parzival
herausgeholt und, stark gebändigt, in seine Bearbeitung des Vulgat-
textes eingeführt worden. Dagegen nahm F. Pfeiffer (Germ. 2,
1857, 80) an, daß vielmehr umgekehrt Wolfram die C*-Bearbeitung
Vorgelegen, der Parzival aus ihr die Schnitten geholt habe. Die-
selbe Auffassung hat auch W. Braune (PBB. 25, 1900, 86ff.) nach-
drücklich vertreten; ebenso II. DE BoOR, ZfdA. 61, 1924, lff.
Ich halte diese letzterwähnte Auffassung für die einzig mögliche.
Und ich sage auch hier geradezu: Wolfram „zitiert“ an unserer
Stelle die C*-Fassung des Nibelungenliedes. Das ist m. E. schon
dadurch zweifelsfrei sicher, daß die Parzivalverse 420, 26ff. für sich
vollkommen unverständlich sind. Sie setzen durchaus dieErzählung
von Rumoldes Rat im C*-Texte voraus: nur wer die kannte, konnte
den Sinn und Witz von Wolframs Worten wirklich verstehen.
Denn das Zitat ist freilich wieder von sehr seltsamer Art: es über-
steigert nicht minder, als wir es vorher mit Walthers Text geschehen
sahen, den zitierten Text, ja es überführt ihn ins völlig Burleske.
Man darf das nicht verwischen wollen, wie K. Bartsch es im Kom-
mentar seiner Parzivalausgabe versucht hat, indem er die Worte
er bat in lange sniten bsen übersetzt „er forderte ihn auf, sich lange
Schnitten bähen zu lassen“ oder „er bot ihm an, sie zu bähen.“
 
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