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Friedrich Panzer
Salbe (2848) ff.; vgl. Behaghels Einleitung zu seiner Ausgabe der
Eneit, 1882, S. CCXYIf. Man sieht also: auch hier, wo Wolfram
der angezogenen Quelle ohne Witz und Spott gegenübersteht, stim-
men zwar die Elemente überein, aber ihre Relationen sind völlig
verändert, und der Sibille wird etwas ganz anderes in den Mund
gelegt, als was sie an der angezogenen Stelle wirklich sagt. Das
Zitat, gibt also auch hier das Zitierte mit willkürlicher Freiheit in
starker Abwandlung wieder.
Wir haben bisher nur Zitate herangezogen, die bei Wolfram
begegnen. Er ist aber der Eigenwilligste unter unseren Epikern
und modelt alles nach seiner persönlichen Anlage, der auch ein
bizarrer Ausdruck ganz gewöhnlich ist. Es wird darum gut sein,
bezeichnende Beispiele mittelalterlichen Zitierens aus Dichtungen
anzuziehen, die völlig im allgemeinen Fahrwasser ihres Zeitalters
treiben.
Eine Dichtung dieser Art ist die Klage. Mit diesem Namen be-
nennt sich selbst ein Gedicht in Reimpaaren, das in allen uns voll-
ständig erhaltenen Elandschriften des Nibelungenliedes mit über-
liefert ist, also schon im Archetypus unserer Liedüberlieferung seine
Stelle hatte. Es schließt sich in der Tat nach Inhalt und Form aufs
engste an das Lied an. Eine Liberschau über das dort Erzählte, die
immerhin ein halbes Tausend Verse füllt, eröffnet das Gedicht, dann
erst wendet es sich seinem besonderen Vorwurfe zu: der „inventio“
und „elevatio“ all der im Kampfe zwischen Burgunden und Hunnen
gefallenen Helden, ihrer Beklagung und Beisetzung. Das Gedicht
hat keinen besonderen ästhetischen Wert. Der Nibelungenfor-
schung aber ist es wichtig, weil es nachträglich noch auf den Lied-
text selbst und seine Überlieferung Einfluß gewonnen hat. Die Be-
arbeitung, die das Nibelungenlied in der Fassung C* schon bald
nach seiner Entstehung erfuhr, ist stark von der Klage beeinflußt;
sie hat allerlei aus ihr entnommen, wovon manches nachträglich
auch in den Vulgattext des Liedes aufgenommen wurde, wie er als
„das Nibelungenlied“ heute in unseren Ausgaben steht. Die For-
schung hat darum ein großes Interesse daran zu wissen, wann, wo
und unter welchen Umständen die Klage entstanden ist, vor allem
auch, woher sie ihr Wissen von der Nibelungenfabel genommen hat.
Doch gerade in diesem Punkte liegt die Sache merkwürdig und
schwierig und ist oder mindestens war demgemäß stark umstritten.
Die Klage beruft sich schon zu Eingang und mehrmals im wei-
teren Verlaufe auf ein Buch, dem sie gefolgt ist. Gleich zu Anfang
Friedrich Panzer
Salbe (2848) ff.; vgl. Behaghels Einleitung zu seiner Ausgabe der
Eneit, 1882, S. CCXYIf. Man sieht also: auch hier, wo Wolfram
der angezogenen Quelle ohne Witz und Spott gegenübersteht, stim-
men zwar die Elemente überein, aber ihre Relationen sind völlig
verändert, und der Sibille wird etwas ganz anderes in den Mund
gelegt, als was sie an der angezogenen Stelle wirklich sagt. Das
Zitat, gibt also auch hier das Zitierte mit willkürlicher Freiheit in
starker Abwandlung wieder.
Wir haben bisher nur Zitate herangezogen, die bei Wolfram
begegnen. Er ist aber der Eigenwilligste unter unseren Epikern
und modelt alles nach seiner persönlichen Anlage, der auch ein
bizarrer Ausdruck ganz gewöhnlich ist. Es wird darum gut sein,
bezeichnende Beispiele mittelalterlichen Zitierens aus Dichtungen
anzuziehen, die völlig im allgemeinen Fahrwasser ihres Zeitalters
treiben.
Eine Dichtung dieser Art ist die Klage. Mit diesem Namen be-
nennt sich selbst ein Gedicht in Reimpaaren, das in allen uns voll-
ständig erhaltenen Elandschriften des Nibelungenliedes mit über-
liefert ist, also schon im Archetypus unserer Liedüberlieferung seine
Stelle hatte. Es schließt sich in der Tat nach Inhalt und Form aufs
engste an das Lied an. Eine Liberschau über das dort Erzählte, die
immerhin ein halbes Tausend Verse füllt, eröffnet das Gedicht, dann
erst wendet es sich seinem besonderen Vorwurfe zu: der „inventio“
und „elevatio“ all der im Kampfe zwischen Burgunden und Hunnen
gefallenen Helden, ihrer Beklagung und Beisetzung. Das Gedicht
hat keinen besonderen ästhetischen Wert. Der Nibelungenfor-
schung aber ist es wichtig, weil es nachträglich noch auf den Lied-
text selbst und seine Überlieferung Einfluß gewonnen hat. Die Be-
arbeitung, die das Nibelungenlied in der Fassung C* schon bald
nach seiner Entstehung erfuhr, ist stark von der Klage beeinflußt;
sie hat allerlei aus ihr entnommen, wovon manches nachträglich
auch in den Vulgattext des Liedes aufgenommen wurde, wie er als
„das Nibelungenlied“ heute in unseren Ausgaben steht. Die For-
schung hat darum ein großes Interesse daran zu wissen, wann, wo
und unter welchen Umständen die Klage entstanden ist, vor allem
auch, woher sie ihr Wissen von der Nibelungenfabel genommen hat.
Doch gerade in diesem Punkte liegt die Sache merkwürdig und
schwierig und ist oder mindestens war demgemäß stark umstritten.
Die Klage beruft sich schon zu Eingang und mehrmals im wei-
teren Verlaufe auf ein Buch, dem sie gefolgt ist. Gleich zu Anfang