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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0024
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Friedrich Panzer

Nibelungenliedes, von deren früher Entstehung vorher ausführlicher
die Rede war.
Auffallende Läßlichkeit findet sich aber auch innerhalb der
Dichtung selbst bei wiederholter Darlegung derselben Tatsachen
oder Vorgänge. Wenn sich in der Epik Anlaß ergab, einen Vorgang
zweimal zu erzählen, so stimmen die beiden Berichte kaum je voll-
kommen überein. Wenn, wie in der Epik häufig geschieht, jemandem
ein Auftrag gegeben, eine Botschaft übertragen wird, so deckt sich
die Ausrichtung fast nie auch nur in den Gedanken, geschweige denn
im Wortlaute genau und vollständig mit dem Aufträge. Es er-
scheinen da nicht selten für uns recht anstößige Abweichungen, die
unsere Kritiker häufig ganz zu Unrecht zu weitgehender An-
nahme von Interpolationen, Kreuzungen verschiedener Vorlagen
und dergl. veranlaßt haben.
Wir haben uns bisher ausschließlich innerhalb des Bereiches der
Dichtung gehalten. Was wir da gefunden haben, wird weiter er-
hellt, wenn wir auch einen Blick auf die gleichzeitige, nicht poetisch
gemeinte Prosa werfen. Wir wählen dafür zunächst den Bereich der
geschichtlichen Aufzeichnung aus.
Es sind da Dinge zu beobachten, die dem im Bezirke der
Dichtung Festgestellten sichtlich nahestehen. Ich begnüge mich
mit der Anziehung eines einzigen Beleges, der Ende des 10. Jahr-
hunderts entstandenen Historiae des Richer, Mönches von St. Remi.
Der Fall ist darum besonders anziehend, weil uns die Urschrift des
Verfassers in einer Bamberger Handschrift erhalten ist, so daß wir
den Mann bei seiner Arbeit belauschen können. Er hat für die ersten
Bücher seines Werkes vorzüglich die Annalen des Archivars der
Reimser Kirche Flodoard benützt. Die Benutzung aber erfolgte mit
der erstaunlichsten Willkürlichkeit, durch die vielfach die Erzäh-
lung, die Daten, Ziffern, Namen verändert werden. Das schon rich-
tig Niedergeschriebene wird auch wohl durchgestrichen und dafür
phantastisch Verändertes eingesetzt. Und die Veränderungen wer-
den womöglich durch nochmalige Abänderung gesteigert. Zum Bei-
spiel bei Angabe der Ziffern. So hat einmal Flodoard die Zahl der
Gefallenen mit 1100 angegeben, Richer schrieb dafür zunächst
5000, dann 6000, strich auch das nochmal durch und erhöhte die
Summe auf 10 000. Es kommt ihm auch nicht darauf an, das, Mfas
seine Vorlage von Giselbert von Uothringen erzählt, auf Heinrich I.
von Sachsen zu übertragen. Gewiß höchst erstaunlich! Aber man
 
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