Metadaten

Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0032
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
32

Friedrich Panzer

türmen, wo für das moderne Gefühl Symmetrie unerläßlich wäre,
kann der romanische Teil oft genug es sich nicht versagen, den bei-
den Partnern ein gewisses Maß von Sonderwillen zuzugestehen, in-
dem nur die Geschoßhöhe gleich, aber die Einzelheitsbildung oft
genug ungleich gegeben wird.“
Ich frage mich: darf man in diesem Zusammenhänge auch da-
rauf verweisen, daß gerade im germanischen Kreise eine starke Nei-
gung zu beobachten ist, in der mehrmaligen sprachlichen Wieder-
gabe ein und derselben Begriffe oder Begriffsreihen zu variieren?
Es ist bekannt, daß im germanischen Stabreimepos die Variation
geradezu ein Stilmittel ist, das in unseren Heldenepen bis ins hohe
Mittelalter hinein sich wohl erhalten hat. Ein Beispiel aus dem
Heliand: „So sprach er da klug und sagte das Wort Gottes, lehrte
der Landeswart seine Leute mit lauterem Sinn. Die Helden standen,
die Menschen um den Gottessohn überaus eifrig, die Männer mit
Lust: es war ihnen nach den Worten Verlangen.“ Hier ist also der
Begriff „Christus“ zweimal verschieden ausgedrückt: Landeswart,
Gottessohn; der Begriff „Jünger“ dreimal durch: Leute, Helden,
Menschen, der Begriff „lehren“ dreimal: sprach klug, sagte das
Wort Gottes, lehrte mit lauterem Sinn.
Diese Eigenart zeigt auch das altfranzösische Nationalepos in
der besonders auffälligen Lorm der laisses similaires. Diese Dich-
tungsgattung gliedert ihren Vortrag in laisses, d. h. Versgruppen
von wechselndem Umfang, die in sich durch die Assonanz der Schluß-
silbe ihrer Verse zusammengehalten sind. Dabei geschieht es viel-
fach, daß, was in der einen laisse erzählt war, von der folgenden,
zuweilen auch noch von der nächstfolgenden, abermals aufgegriflen
und mit anderen Worten und so auch inhaltlich mehr oder weniger
variierend Aviederholt wird. In die Wiederholung ist dann doch auch
der Eortschritt der Handlung verschlungen, ganz wie das hei der
Variation der germanischen Epik der Fall ist. Man sieht, wie auch
hier ein in Wahrheit Identisches doch durch Varianten ausgedrückt
wird, ein für uns eigentlich unzulässiges Verfahren. Denn die
Sprache hat keinen so überflüssigen Reichtum, daß nicht stets Ver-
schiedenheit des sprachlichen Ausdrucks auch eine wenn vielleicht
auch nur geringe Verschiedenheit der Anschauung, des Gedachten,
des Gefühlstones bedeutete.
Man kann wohl nicht leugnen, daß in alle dem an verschiedenen
Objekten von uns Beobachteten eine andere Denkart sich verrät
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften