Vom mittelalterlichen Zitieren
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sicher nachweisbar, aus Veldekes Eneit und Hartmanns Iwein
manches entlehnt hat.
Ich darf aber nicht unterlassen auszusprechen, daß noch in jün-
gerer Zeit auch stark abweichende Datierungen des Liedes versucht
wurden. So hat F. Wilhelm (Nibelungenstudien I, Münchener
Archiv f. Philol. des Mittelalters u. der Renaiss. 7, 1916) den Ver-
fasser der Klage für einen herzoglichen Baier erklärt, da er die
Baiern von dem Vorwurfe, Räuber zu sein, freigesprochen habe. In
Wittelsbacher Diensten stehend sei er mit Ludwig dem Kelheimer
an den Mittelrhein gekommen, als diesem Fürsten 1214 von Fried-
rich II. die Rheinpfalz verliehen wurde; so sei er zur Kenntnis von
Alzey und Lorsch gelangt, die, im Liede unerwähnt, in seiner Dich-
tung auftreten. Die Klage kann also erst nach 1214 entstanden sein.
Da die Fassung C des Nibelungenliedes den Vulgattext mit der
Klage auszugleichen sucht, kann auch diese Liedbearbeitung erst
nach 1214 fallen. Ihre Bemerkungen über Lorsch und Otenheim
deuten auf Entstehung zwischen 1216 und 28. Was Wolfram über
Rumolds Rat vorhringt, knüpft nicht an C an; seine Erwähnung der
Schnitten verwendet vielmehr eine sprichwörtliche Redensart, die
bedeutet: „sei auf deinen Vorteil bedacht und bleib daheim!“ C hat
das dann aus dem Parzival übernommen und nur ausgebaut.
Ich halte diese Ausführungen von A bis Z für völlig verfehlt.
Klage 3490 wird von Etzels Boten gesagt: swerinin Beyern wider reit,
von den wart in niht getan (daz muost man durh ir lierren län) wan daz
si in ir gebe gäben. Das soll die Baiern „förmlich reinwaschen“ von
dem im Liede 1302 ihnen gemachten Vorwurfe des Straßenraubes.
Eine seltsame Meinung, da doch gesagt wird, die Baiern unterließen
es, die Boten zu berauben durh ir herren, d. h. aus Furcht vor
Etzels Macht. In Wirklichkeit ist die Bemerkung der Klage ledig-
lich die genaue Wiederholung dessen, was Nib. 1429 von Swämmel
und Werbel gesagt wird, als sie von Passau weg vol durh Peyerlant
ze Rine riten: ir silber unt gewant daz ennam in niemen; man vorhte
ir herren zorn, ja was vil geivaltic der edele künec wol geborn. Daß die
Stelle also auf einen herzoglichen Baier als Verfasser deute, ist ganz
abwegig; wenn etwas daraus zu folgern ist, so wäre es das Gegenteil,
da die Klage ja an der Beschuldigung der Baiern festhält. Ich halte
den Verfasser der Klage aus Gründen, für deren Entwicklung hier
kein Raum ist, für einen Österreicher. Was ihm Kenntnis von
Alzey und Lorsch verschaffte, weiß ich nicht; aber man wird nicht
behaupten dürfen, daß solche Kenntnis in Österreich unmöglich
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sicher nachweisbar, aus Veldekes Eneit und Hartmanns Iwein
manches entlehnt hat.
Ich darf aber nicht unterlassen auszusprechen, daß noch in jün-
gerer Zeit auch stark abweichende Datierungen des Liedes versucht
wurden. So hat F. Wilhelm (Nibelungenstudien I, Münchener
Archiv f. Philol. des Mittelalters u. der Renaiss. 7, 1916) den Ver-
fasser der Klage für einen herzoglichen Baier erklärt, da er die
Baiern von dem Vorwurfe, Räuber zu sein, freigesprochen habe. In
Wittelsbacher Diensten stehend sei er mit Ludwig dem Kelheimer
an den Mittelrhein gekommen, als diesem Fürsten 1214 von Fried-
rich II. die Rheinpfalz verliehen wurde; so sei er zur Kenntnis von
Alzey und Lorsch gelangt, die, im Liede unerwähnt, in seiner Dich-
tung auftreten. Die Klage kann also erst nach 1214 entstanden sein.
Da die Fassung C des Nibelungenliedes den Vulgattext mit der
Klage auszugleichen sucht, kann auch diese Liedbearbeitung erst
nach 1214 fallen. Ihre Bemerkungen über Lorsch und Otenheim
deuten auf Entstehung zwischen 1216 und 28. Was Wolfram über
Rumolds Rat vorhringt, knüpft nicht an C an; seine Erwähnung der
Schnitten verwendet vielmehr eine sprichwörtliche Redensart, die
bedeutet: „sei auf deinen Vorteil bedacht und bleib daheim!“ C hat
das dann aus dem Parzival übernommen und nur ausgebaut.
Ich halte diese Ausführungen von A bis Z für völlig verfehlt.
Klage 3490 wird von Etzels Boten gesagt: swerinin Beyern wider reit,
von den wart in niht getan (daz muost man durh ir lierren län) wan daz
si in ir gebe gäben. Das soll die Baiern „förmlich reinwaschen“ von
dem im Liede 1302 ihnen gemachten Vorwurfe des Straßenraubes.
Eine seltsame Meinung, da doch gesagt wird, die Baiern unterließen
es, die Boten zu berauben durh ir herren, d. h. aus Furcht vor
Etzels Macht. In Wirklichkeit ist die Bemerkung der Klage ledig-
lich die genaue Wiederholung dessen, was Nib. 1429 von Swämmel
und Werbel gesagt wird, als sie von Passau weg vol durh Peyerlant
ze Rine riten: ir silber unt gewant daz ennam in niemen; man vorhte
ir herren zorn, ja was vil geivaltic der edele künec wol geborn. Daß die
Stelle also auf einen herzoglichen Baier als Verfasser deute, ist ganz
abwegig; wenn etwas daraus zu folgern ist, so wäre es das Gegenteil,
da die Klage ja an der Beschuldigung der Baiern festhält. Ich halte
den Verfasser der Klage aus Gründen, für deren Entwicklung hier
kein Raum ist, für einen Österreicher. Was ihm Kenntnis von
Alzey und Lorsch verschaffte, weiß ich nicht; aber man wird nicht
behaupten dürfen, daß solche Kenntnis in Österreich unmöglich