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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1956, 4. Abhandlung): Horaz und die Politik — Heidelberg, 1956

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https://doi.org/10.11588/diglit.42325#0016
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Viktor Pöschl

Die politische Welt hingegen ist die wahre Gegenwelt des durch die
Musen geheiligten persönlichen Bereichs, Gegenwelt auch in dem Sinne,
daß die private Sphäre ohne sie so nicht existieren würde und erst durch
sie Wert und Bedeutung erhält.
Diesem Gegensatz, den ich an dem Beispiele einiger weiterer Horaz-
gedichte erläutern möchte, liegt die Erfahrung umwälzender politischer
Ereignisse als des schlechthin Unentrinnbaren zugrunde, wie sie sich am
großartigsten in der Ode Parcus deorum cultor (c. 1, 34) niedergeschlagen
hat. Auf das Gedicht, dessen Interpretation freilich umstritten ist, möchte
ich wenigstens kurz eingehen. Manche Interpreten nehmen den Blitz aus
heiterem Elimmel als reales Erlebnis des Dichters40 ganz wörtlich, andere
fassen ihn als Symbol41, wieder andere schwanken42. Es kann aber kein
Zweifel sein, daß der Blitz hier nicht wörtlich zu verstehen ist. Er ist als
sichtbarer Ausdruck göttlicher Macht ein durch Dichtung, bildende Kunst
und Religion, insbesondere auch römische Religion, geheiligtes Symbol der
Gewalt des höchsten Gottes. Er darf ebensowenig grob wörtlich aufgefaßt
werden wie der Verlust des Schildes bei Philippi oder das Taubenwunder
in der Jugend des Horaz. Der Dichter hat seinen Schild bei Philippi — in
der Ode 2,7 — nur deshalb verloren, weil ihn Archilochos und Alkaios
verloren hatten (ein Tribun pflegt keinen Schild zu tragen), und er wurde
auf dem Voltur, dem Berg seiner apulischen Eieimat, als Kind nur darum
von Tauben mit Lorbeer- und Myrtenlaub bedeckt — dem Lorbeer Apolls
und der Myrte der Venus43 —, um vor Schlangen und Bären geschützt zu
sein, weil griechische Dichter in ähnlichen Wendungen sich der Wunder-
kraft begnadeten Dichtertums gerühmt hatten44 und weil Virgil in der
vierten Ekloge um die Wiege des Götterkindes Blumen und herrliche
Pflanzen sprießen und Frieden unter den Tieren herrschen ließ. Horaz
bedient sich der Formeln und Symbole der früheren Poesie — sie umge-
staltend und steigernd —, um seiner Aussage größere Würde und Monu-
mentalität zu geben, wobei auch der römische Glaube an die Autorität des
Vorbilds, hier also des literarischen Vorbilds, hineinspielt, und was für die
Entwicklung römischer Poesie und Rhetorik besonders wichtig ist und einer
Untersuchung wert wäre, die römische Überzeugung von der magischen
Kraft geprägter Formen. Dies alles trägt dazu bei, daß seine Gedichte
weniger Ausdruck vgn persönlichen Erlebnissen und Bekenntnissen sind
als Darstellung von Erfahrungen und Einsichten, die über das Nur-Persön-
liche weit hinausreichen. Seine Dichtung ist „Erfahrung, die Magie gewor-
den ist“45.
Den Blitz der Ode Parcus deorum cultor darf man also keinesfalls
wörtlich nehmen, was der Dichter selbst andeutet. Denn es ist ein
Blitz, der die dumpfe Erde erschüttert und die weithinschweifenden
Flüsse, den Styx und den Taenarus und die Säulen, die Atlas an den
Grenzen der Welt bewacht46, woran dann die Bemerkung von der Gewalt
 
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