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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1957, 2. Abhandlung): Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus: zur Grundlegung des Kirchenrechts — Heidelberg, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.42454#0017
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Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus 15
tung seiner grundlegenden Verkündigung nur um so deutlicher. Er
selbst zitiert in seinem Brief zweimal feste, geformte Stücke der alten
Christus-Tradition, die er seinerseits schon „übernommen“ und so auch
den Korinthern weiter „übergeben“ hat (11,23; 15,3). Die Gemeinde
steht also immer noch auf dem alten „Fundament“ (3,11) seines „Evan-
geliums“ (15,1), das nie verrückt werden kann.
Was das konkret bedeuten kann, wird gleich bei dem ersten „Falle“
deutlich, den Paulus zur Sprache bringt. Paulus ist empört, daß die Ko-
rinther einen Mann in ihrer Mitte geduldet haben, der es wagte, seine
eigene (Stief-)Mutter zu heiraten. So etwas wäre, erklärte er, „nicht ein-
mal bei den Heiden“ möglich gewesen (5,1). Schon früher habe er den
Korinthern geschrieben, daß sie sich mit Unzüchtigen so gut wie mit
anderen Lasterhaften, Spitzbuben, Räubern usw. nicht einlassen dürften,
und habe dabei natürlich nicht an gelegentliche Berührungen im Verkehr
der Welt, sondern gerade an das Leben in der Gemeinde gedacht (5,9 ff.).
Die endgültige Scheidung von einem solchen Individuum ist somit die
unumgängliche Konsequenz (5,5)25. Paulus zögert nicht, von sich aus
das Urteil über den Sünder zu fällen — in der Gewißheit, daß auch die
Korinther, trotz ihres betrüblichen Versagens, es jetzt mit vollziehen müs-
sen und vollziehen werden (5, 3 f.); denn es handelt sich dabei für eine
geistlich urteilende Gemeinde um eine Selbstverständlichkeit26.
In anderen Fällen liegen die Dinge schwieriger. Die einfachen Regeln

als die ööoi. Sie sind nicht auf sittliche Weisungen beschränkt, sondern be-
treffen gerade auch die zu glaubende geschichtliche Überlieferung. Vgl.
Fr. Büchsel, Art. Jtagdöooig, Theol. Wörterb. z. N.T. II, 174 f.; weitere Li-
teratur bei Campenhausen, Kirchl. Amt S. 164 f.
24 Daß Paulus hier eine Wendung aus dem Brief der Korinther seinerseits auf-
nimmt, ist nach dem Zusammenhang klar; vgl. H. Lietzmann, An die Ko-
rinther I/II (19494) 53.
25 Zum Verständnis dieses schwierigen Urteils s. B. Noack, Satanas und Soteria
(1948) 97 f., Campenhausen, Kirchliches Amt, S. 147, Anm. 1 u. E. Käsemann,
Sätze heiligen Rechtes im Neuen Testament, NewTest. Studies (1954/55) 352 f.;
zuletzt E. Schweizer, Theolog. Wörterbuch z. N. T. VI 434.
20 Die rechtlich gesehen ganz exzeptionelle Form dieser Urteilsfällung, die kei-
nen Zweifel und keine Überprüfung duldet, wird von Käsemann a. a. O. mit
Recht auf ihren spezifisch „geistlichen“ Charakter zurückgeführt. Aber man
darf das Paradoxe des Vorgangs auch nicht übertreiben. Das wiederholte,
eindringlich erinnernde oüx o’iöate; ist von A. v. Harnack, Das Alte Te-
stament in den paulinischen Briefen und in den paulinischen Gemeinden
(1928) 132, m. E. ganz richtig auf die frühere Predigt und auf das, was er den
„christlichen common sense“ nannte, bezogen worden. Das Urteil fällt nicht
wie eine Bombe vom heiteren Himmel, sondern seine Begründung sollte sich
nach Paulus vielmehr von selber verstehen (I, 5,2). Andererseits darf man
das nachfolgende Bild vom auszufegenden „Sauerteig“ I, 5, 6 ff. auch nicht mit
0. Michel, Paulus und seine Bibel (1929) 161, geradezu als „Beweis“ der
vorausgegangenen Stellungnahme interpretieren.
 
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