Bearbeitungen und Interpolationen des Polykarpmartyriums 7
er selbst ging seinen Anregungen nicht weiter nach, und in der
Folgezeit hat sich, soweit ich sehe, niemand mehr ernsthaft mit
der Frage befaßt11. Nur Einzelheiten wie die Datumsangabe und
die verschiedenen Anhänge, bei denen das Bedenkliche freilich
auf der Hand liegt, werden immer wieder auf ihre Echtheit
geprüft.
Die folgenden Ausführungen möchten zeigen, daß der Text viel
stärker überarbeitet und von Interpolationen durchsetzt ist, als
man bisher bemerkt hat. Diese Behauptung soll nicht mit allge-
meinen, skeptischen Vermutungen und vaguen Zweifeln begründet
werden, sondern mit exakten, philologischen Argumenten, die der
Text selbst an die Hand gibt und deren Beweiskraft, wie mir scheint,
weithin zwingend ist. Eine solche Ankündigung muß natürlich Be-
denken wecken: wie konnten solche Möglichkeiten, wenn sie be-
standen, so lange Zeit ungenutzt bleiben? — bei einer Urkunde,
die die Forschung seit mehr als einem Jahrhundert kritisch gereizt
und philologisch, historisch und theologisch immer von neuem be-
schäftigt hat ? Ich gestehe, daß dieser Einwand mir selbst zu schaffen
gemacht hat; aber das Gewicht der sachlichen Gründe erwies sich
als stärker. So kann ich nichts anderes tun, als sie vorzulegen und
meinerseits um kritische Prüfung zu bitten.
I.
Der griechische Text des Polykarpmartyriums ist uns bekannt-
lich durch nicht weniger als sechs Handschriften vollständig über-
liefert, die jedoch sämtlich auf eine einzige Rezension, das Corpus
Polycarpianum des Pseudo-Pionios, zurückgehen, wo es mit dem
Polykarpbrief und der von Pseudo-Pionios verfaßten Vita Poly-
carpi in Verbindung gebracht war12. Außerdem kommt die Kirchen -
11 Auch die neuesten Ausgaben des Martyriums und von Eusebs Kirchen-
geschichte in den „Sources chretiennes“ begnügen sich damit, den Text von
FuNK-BiHLMEYERbzw. Eduard Schwartz zu erneuern: P. Th. Camelot, Ignace
d’Antioche, Polycarpe de Smyrne: Lettres; Martyre de Polycarpe, Paris
1951, S. 239; Gustave Bardy, Eusebe de Cesaree, Histoire Ecclesiastique 1,
I—IV, Paris 1Ü52, S. Vf.
12 Vgl. hierzu die bei Fiustk-Bihlmeyer (u. Anm. 13) genannte Literatur
und besonders Gregolre, a.a. O., S. 4ff.
er selbst ging seinen Anregungen nicht weiter nach, und in der
Folgezeit hat sich, soweit ich sehe, niemand mehr ernsthaft mit
der Frage befaßt11. Nur Einzelheiten wie die Datumsangabe und
die verschiedenen Anhänge, bei denen das Bedenkliche freilich
auf der Hand liegt, werden immer wieder auf ihre Echtheit
geprüft.
Die folgenden Ausführungen möchten zeigen, daß der Text viel
stärker überarbeitet und von Interpolationen durchsetzt ist, als
man bisher bemerkt hat. Diese Behauptung soll nicht mit allge-
meinen, skeptischen Vermutungen und vaguen Zweifeln begründet
werden, sondern mit exakten, philologischen Argumenten, die der
Text selbst an die Hand gibt und deren Beweiskraft, wie mir scheint,
weithin zwingend ist. Eine solche Ankündigung muß natürlich Be-
denken wecken: wie konnten solche Möglichkeiten, wenn sie be-
standen, so lange Zeit ungenutzt bleiben? — bei einer Urkunde,
die die Forschung seit mehr als einem Jahrhundert kritisch gereizt
und philologisch, historisch und theologisch immer von neuem be-
schäftigt hat ? Ich gestehe, daß dieser Einwand mir selbst zu schaffen
gemacht hat; aber das Gewicht der sachlichen Gründe erwies sich
als stärker. So kann ich nichts anderes tun, als sie vorzulegen und
meinerseits um kritische Prüfung zu bitten.
I.
Der griechische Text des Polykarpmartyriums ist uns bekannt-
lich durch nicht weniger als sechs Handschriften vollständig über-
liefert, die jedoch sämtlich auf eine einzige Rezension, das Corpus
Polycarpianum des Pseudo-Pionios, zurückgehen, wo es mit dem
Polykarpbrief und der von Pseudo-Pionios verfaßten Vita Poly-
carpi in Verbindung gebracht war12. Außerdem kommt die Kirchen -
11 Auch die neuesten Ausgaben des Martyriums und von Eusebs Kirchen-
geschichte in den „Sources chretiennes“ begnügen sich damit, den Text von
FuNK-BiHLMEYERbzw. Eduard Schwartz zu erneuern: P. Th. Camelot, Ignace
d’Antioche, Polycarpe de Smyrne: Lettres; Martyre de Polycarpe, Paris
1951, S. 239; Gustave Bardy, Eusebe de Cesaree, Histoire Ecclesiastique 1,
I—IV, Paris 1Ü52, S. Vf.
12 Vgl. hierzu die bei Fiustk-Bihlmeyer (u. Anm. 13) genannte Literatur
und besonders Gregolre, a.a. O., S. 4ff.