Beai’beitungen und Interpolationen des Polykarpmartyriums 11
zu sein20. Dann erst folgen M 2,4 die weiteren Foltern, von denen
Eusebios spricht, und die ,,zu den Tieren Verurteilten“ erscheinen
jetzt als eine neue Gruppe, die von den im Feuer verbrannten Mär-
tyrern ausdrücklich abgehoben wird21. Dieser Bericht widerspricht
nicht nur dem, was Eusebios sagt, sondern auch der folgenden Dar-
stellung des Martyriums selbst. Nur dann, wenn die Christen zu-
nächst alle nur ad bestias verurteilt worden waren, versteht man
das Überraschende und Erschreckende jenes Gesichts, das Polykarp
vielmehr den Feuertod als sein Schicksal offenbarte: δεϊ με ζώντα
καηναι (Μ 5,2). Nach den bisherigen Erfahrungen war etwas der-
artig Entsetzliches22 zunächst nicht vorauszusehen. Tatsächlich
fordert die Menge auch für Polykarp zunächst nur dies, daß man
den Löwen, also die grimmigste Bestie, auf ihn loslassen solle. Erst
als der Beamte sich dazu außerstande erklärt, „weil die Tierhetzen
bereits abgeschlossen“ seien, kommt es zum spontanen Entschluß,
den Heiligen vielmehr zu verbrennen. Denn, bemerkt der Bericht-
erstatter mit Nachdruck, sein prophetisches Wort „mußte“ ja in
Erfüllung gehen (M 16,3). Dies alles hat unser Redaktor oder Inter-
polator nicht weiter bedacht, als er in Anlehnung an M 11,2 seine
Deklamationen über das irdische und das ewige Straffeuer zum
besten gab. Alles, was im heutigen Pioniostext von M 2,2c—2,3
zu lesen steht, hat Eusebios noch nicht Vorgelegen und ist eine
spätere Zutat. Es liegt nahe, sie demselben Bearbeiter zuzuschreiben,
der die Eingangssätze kurz zuvor gestaltet hat, mit dem sie auch
den pathetischen Schwulst und die Neigung zum Bibelzitat ge-
mein haben. Aber da dessen charakteristische normative Ab-
sichten in diesem Stücke nicht weiter erkennbar sind, kann die
Frage vielleicht offen bleiben.
20 Seit wann und woher gibt es diese Vorstellung, daß die Frommen nach
ihrem Tode zu Engeln werden? A. v. Harnack, Die Terminologie der Wieder-
geburt und verwandter Erlebnisse in der ältesten Kirche (TU XLII 3, 1918)
134, Anm. 1 erklärt unsere Stelle für eine „vereinzelte Ausnahme“ und „wohl
rhetorisch gesagt“.
21 Dies ist der Beweis dafür, daß im voraufgehenden Text wirklich vom
Feuertod die Rede sein sollte, nicht von bloßen Sengungen und Brennungen,
wie sie von „entmenschten Folterknechten“ sonst freilich auch zur An-
wendung gebracht wurden; vgl. HE V 21.38.
22 Auch in den Drohungen des Prokonsuls M 11,2 erscheint das Feuer
als die schrecklichere Möglichkeit: πυρί σε ποιήσω δαπανηϋ·ήναι, εΐ των θηρίων
καταφρονείς.
zu sein20. Dann erst folgen M 2,4 die weiteren Foltern, von denen
Eusebios spricht, und die ,,zu den Tieren Verurteilten“ erscheinen
jetzt als eine neue Gruppe, die von den im Feuer verbrannten Mär-
tyrern ausdrücklich abgehoben wird21. Dieser Bericht widerspricht
nicht nur dem, was Eusebios sagt, sondern auch der folgenden Dar-
stellung des Martyriums selbst. Nur dann, wenn die Christen zu-
nächst alle nur ad bestias verurteilt worden waren, versteht man
das Überraschende und Erschreckende jenes Gesichts, das Polykarp
vielmehr den Feuertod als sein Schicksal offenbarte: δεϊ με ζώντα
καηναι (Μ 5,2). Nach den bisherigen Erfahrungen war etwas der-
artig Entsetzliches22 zunächst nicht vorauszusehen. Tatsächlich
fordert die Menge auch für Polykarp zunächst nur dies, daß man
den Löwen, also die grimmigste Bestie, auf ihn loslassen solle. Erst
als der Beamte sich dazu außerstande erklärt, „weil die Tierhetzen
bereits abgeschlossen“ seien, kommt es zum spontanen Entschluß,
den Heiligen vielmehr zu verbrennen. Denn, bemerkt der Bericht-
erstatter mit Nachdruck, sein prophetisches Wort „mußte“ ja in
Erfüllung gehen (M 16,3). Dies alles hat unser Redaktor oder Inter-
polator nicht weiter bedacht, als er in Anlehnung an M 11,2 seine
Deklamationen über das irdische und das ewige Straffeuer zum
besten gab. Alles, was im heutigen Pioniostext von M 2,2c—2,3
zu lesen steht, hat Eusebios noch nicht Vorgelegen und ist eine
spätere Zutat. Es liegt nahe, sie demselben Bearbeiter zuzuschreiben,
der die Eingangssätze kurz zuvor gestaltet hat, mit dem sie auch
den pathetischen Schwulst und die Neigung zum Bibelzitat ge-
mein haben. Aber da dessen charakteristische normative Ab-
sichten in diesem Stücke nicht weiter erkennbar sind, kann die
Frage vielleicht offen bleiben.
20 Seit wann und woher gibt es diese Vorstellung, daß die Frommen nach
ihrem Tode zu Engeln werden? A. v. Harnack, Die Terminologie der Wieder-
geburt und verwandter Erlebnisse in der ältesten Kirche (TU XLII 3, 1918)
134, Anm. 1 erklärt unsere Stelle für eine „vereinzelte Ausnahme“ und „wohl
rhetorisch gesagt“.
21 Dies ist der Beweis dafür, daß im voraufgehenden Text wirklich vom
Feuertod die Rede sein sollte, nicht von bloßen Sengungen und Brennungen,
wie sie von „entmenschten Folterknechten“ sonst freilich auch zur An-
wendung gebracht wurden; vgl. HE V 21.38.
22 Auch in den Drohungen des Prokonsuls M 11,2 erscheint das Feuer
als die schrecklichere Möglichkeit: πυρί σε ποιήσω δαπανηϋ·ήναι, εΐ των θηρίων
καταφρονείς.