Bearbeitungen und Interpolationen des Polykarpmartyriums 19
aktiven Gegenmaßnahmen bestimmen müssen, um das Geschehene
wieder rückgängig zu machen oder doch weitere Verleugnungen zu
verhindern. Man braucht ja nur die Schilderungen des Lyoner-
briefes oder auch das Pioniosmartyrium zum Vergleich heranzu-
ziehen, um zu erkennen, daß hier offensichtlich etwas nicht stimmt.
Eusebios beziehungsweise seine Vorlage haben das im Gegensatz
zu den modernen Gelehrten bezeichnenderweise auch gefühlt und
suchen den doppelten, unmotivierten Bruch, den der Einschub be-
wirkt hat, so gut es gehen will, nachträglich zu heilen. Mit der über-
leitenden Wendung καί δη πλείστης επί ταϊς βοαϊς γενομένης ταραχής
gibt HE IV 15,7 eine Art Erklärung, wieso es dazu kam, daß Quin-
tus gerade in diesem Augenblick schwach wurde. Das Zureden des
Prokonsuls, für das zu jenem Zeitpunkt in der Tat kaum Raum
gewesen wäre, fällt dabei unter den Tisch, und man gewinnt den
Eindruck, daß Quintus, der bis dahin fest geblieben war, an-
gesichts des gräßlichen Endes, das Germanikos erduldet, und der
tobend losbrechenden Menge nun erst die Nerven verliert. Anderer-
seits schiebt Euseb beim Übergang zu Kap. 5 eine leicht distan-
zierende Phrase ein. Polykarp hört jetzt ganz allgemein „von diesen
Dingen“ (xovxojv άκου σας), und man ist also nicht mehr gezwungen,
das Folgende speziell auf die Quintusgeschichte zu beziehen: er
bleibt, heißt das, obgleich er von allen Schrecken der Verfolgung
weiß, ganz ruhig und möchte am liebsten nicht einmal aus der Stadt
weichen. Diese mehr oder weniger geschickten Milderungen zeigen,
daß Eusebios oder seine Vorgänger das Unmögliche des überlieferten
Textes sehr wohl empfunden haben und abzuhelfen suchten; aber
gerade dies spricht hier so gut wie in der Germanikosepisode für
die relative Ursprünglichkeit des Pioniostextes38 — und für den
sekundären Charakter des ganzen Kapitels39!
Dazu tritt nun das betonte Phrygertum des Abtrünnigen.
Quintus ist „ein Phryger“ und „eben erst aus Phrygien gekommen“
— das ist eine höchst aufdringliche Hervorhebung seiner Herkunft
und in einem Brief nach Phrygien, wenn sie weiter nichts bedeuten
38 Entgegengesetzt sind eine Reihe weiterer kleiner Überschüsse bei
Eusebios zu beurteilen, die den Gesichtspunkt unterstreichen, daß Polykarp
zur Flucht gedrängt werden mußte. Sie dürften erst einer späteren, anti-
montanistischen Revision zum Opfer gefallen sein.
39 Es ist auch besonders reich an kleineren Textvarianten. Im armeni-
schen Euseb ist die Quintusgeschichte übrigens seltsamerweise ganz über-
gangen; vgl. Müller, Vorl. Verz. S. 18f.; Rettning S. 5.
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aktiven Gegenmaßnahmen bestimmen müssen, um das Geschehene
wieder rückgängig zu machen oder doch weitere Verleugnungen zu
verhindern. Man braucht ja nur die Schilderungen des Lyoner-
briefes oder auch das Pioniosmartyrium zum Vergleich heranzu-
ziehen, um zu erkennen, daß hier offensichtlich etwas nicht stimmt.
Eusebios beziehungsweise seine Vorlage haben das im Gegensatz
zu den modernen Gelehrten bezeichnenderweise auch gefühlt und
suchen den doppelten, unmotivierten Bruch, den der Einschub be-
wirkt hat, so gut es gehen will, nachträglich zu heilen. Mit der über-
leitenden Wendung καί δη πλείστης επί ταϊς βοαϊς γενομένης ταραχής
gibt HE IV 15,7 eine Art Erklärung, wieso es dazu kam, daß Quin-
tus gerade in diesem Augenblick schwach wurde. Das Zureden des
Prokonsuls, für das zu jenem Zeitpunkt in der Tat kaum Raum
gewesen wäre, fällt dabei unter den Tisch, und man gewinnt den
Eindruck, daß Quintus, der bis dahin fest geblieben war, an-
gesichts des gräßlichen Endes, das Germanikos erduldet, und der
tobend losbrechenden Menge nun erst die Nerven verliert. Anderer-
seits schiebt Euseb beim Übergang zu Kap. 5 eine leicht distan-
zierende Phrase ein. Polykarp hört jetzt ganz allgemein „von diesen
Dingen“ (xovxojv άκου σας), und man ist also nicht mehr gezwungen,
das Folgende speziell auf die Quintusgeschichte zu beziehen: er
bleibt, heißt das, obgleich er von allen Schrecken der Verfolgung
weiß, ganz ruhig und möchte am liebsten nicht einmal aus der Stadt
weichen. Diese mehr oder weniger geschickten Milderungen zeigen,
daß Eusebios oder seine Vorgänger das Unmögliche des überlieferten
Textes sehr wohl empfunden haben und abzuhelfen suchten; aber
gerade dies spricht hier so gut wie in der Germanikosepisode für
die relative Ursprünglichkeit des Pioniostextes38 — und für den
sekundären Charakter des ganzen Kapitels39!
Dazu tritt nun das betonte Phrygertum des Abtrünnigen.
Quintus ist „ein Phryger“ und „eben erst aus Phrygien gekommen“
— das ist eine höchst aufdringliche Hervorhebung seiner Herkunft
und in einem Brief nach Phrygien, wenn sie weiter nichts bedeuten
38 Entgegengesetzt sind eine Reihe weiterer kleiner Überschüsse bei
Eusebios zu beurteilen, die den Gesichtspunkt unterstreichen, daß Polykarp
zur Flucht gedrängt werden mußte. Sie dürften erst einer späteren, anti-
montanistischen Revision zum Opfer gefallen sein.
39 Es ist auch besonders reich an kleineren Textvarianten. Im armeni-
schen Euseb ist die Quintusgeschichte übrigens seltsamerweise ganz über-
gangen; vgl. Müller, Vorl. Verz. S. 18f.; Rettning S. 5.
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