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Hans Fuhr, von Campenhausen
sollte, eine überraschend plumpe Taktlosigkeit. Die Lyoner weisen
in ihrem entsprechenden Brief an die Gemeinden der Asia und nach
Phrygien umgekehrt auf die asianische oder phrygische Heimat
ihrer Mitbürger gerade dann hin, wenn es sich um besonders glor-
reiche Märtyrer handelt40.
Offensichtlich soll Quintus als Montanist geschildert werden;
denn die Montanisten drängen grundsätzlich zum Martyrium, und
Φρνξ bezeichnet also den „Kataphryger“ im Sinne eines Anhängers
der „neuen Prophetie“. Dazu paßt auch die abschließende, grund-
sätzliche Beurteilung des Falls, der dieses Verhalten in beinahe amt-
lichem Tone „mißbilligt“ (ονκ έπαινον μεν). Niemand würde diese
Zusammenhänge bezweifeln, wenn ihnen nicht die bekannten
chronologischen Schwierigkeiten im Wege stünden. Die von Epi-
phanios überlieferte Frühdatierung der montanistischen Anfänge
(auf 156/7) ist heute mit Recht fast allgemein zugunsten des
eusebianischen Ansatzes auf das Jahr 172 aufgegeben worden. Damit
ist eine antimontanistische Deutung des Polykarpmartyriums aber
unmöglich gemacht. Man muß schon zu der einigermaßen ver-
zweifelten Auslegung greifen, Quintus verträte eine Art Montanis-
mus vor Montan41, oder man muß mit Gregoire das von Eusebios
überlieferte Todesdatum Polykarps gewaltsam ändern42. Die ganze
Schwierigkeit löst sich indessen mühelos, sobald man unser Kapitel
als das erkennt, was es wirklich ist: eine tendenziöse antimontani-
stische Interpolation des dritten oder auch schon des späteren
zweiten Jahrhunderts, die der gleichgerichteten Euangelion-
Redaktion vorausgegangen war und ihr dementsprechend auch
einen willkommenen Anknüpfungspunkt bot43. Man sieht aus dieser
doppelten Bearbeitung übrigens wieder einmal, wie stark das Interesse
an einer disziplinären Regelung, aber auch wie stark der Widerstand
von seiten der Enthusiasten und Rigoristen dauernd gewesen ist44.
40 HE V 1,17.49.
41 Daß es etwas derartiges in Phrygien tatsächlich gegeben hat, soll
damit nicht bestritten sein; vgl. H. Kraft, Die altkirchliche Prophetie und
die Entstehung des Montanismus, Theol. Zeitschr. 11 (1954) 269; aber es
reicht m.E. nicht aus, um die betonte Stelhmgnahme des Kapitels zu recht-
fertigen.
42 Vgl. o. S. 5f. 43 Vgl. o. S. 12.
44 Vgl. die weiteren Hinweise bei Gregoire, a. a. O. S. 26 Anm. 2: ,,On
pourrait dire, presque sans exageration, que la presence du montanisme
est la regle dans les Actes des martyrs de la fin du second siede.“
Hans Fuhr, von Campenhausen
sollte, eine überraschend plumpe Taktlosigkeit. Die Lyoner weisen
in ihrem entsprechenden Brief an die Gemeinden der Asia und nach
Phrygien umgekehrt auf die asianische oder phrygische Heimat
ihrer Mitbürger gerade dann hin, wenn es sich um besonders glor-
reiche Märtyrer handelt40.
Offensichtlich soll Quintus als Montanist geschildert werden;
denn die Montanisten drängen grundsätzlich zum Martyrium, und
Φρνξ bezeichnet also den „Kataphryger“ im Sinne eines Anhängers
der „neuen Prophetie“. Dazu paßt auch die abschließende, grund-
sätzliche Beurteilung des Falls, der dieses Verhalten in beinahe amt-
lichem Tone „mißbilligt“ (ονκ έπαινον μεν). Niemand würde diese
Zusammenhänge bezweifeln, wenn ihnen nicht die bekannten
chronologischen Schwierigkeiten im Wege stünden. Die von Epi-
phanios überlieferte Frühdatierung der montanistischen Anfänge
(auf 156/7) ist heute mit Recht fast allgemein zugunsten des
eusebianischen Ansatzes auf das Jahr 172 aufgegeben worden. Damit
ist eine antimontanistische Deutung des Polykarpmartyriums aber
unmöglich gemacht. Man muß schon zu der einigermaßen ver-
zweifelten Auslegung greifen, Quintus verträte eine Art Montanis-
mus vor Montan41, oder man muß mit Gregoire das von Eusebios
überlieferte Todesdatum Polykarps gewaltsam ändern42. Die ganze
Schwierigkeit löst sich indessen mühelos, sobald man unser Kapitel
als das erkennt, was es wirklich ist: eine tendenziöse antimontani-
stische Interpolation des dritten oder auch schon des späteren
zweiten Jahrhunderts, die der gleichgerichteten Euangelion-
Redaktion vorausgegangen war und ihr dementsprechend auch
einen willkommenen Anknüpfungspunkt bot43. Man sieht aus dieser
doppelten Bearbeitung übrigens wieder einmal, wie stark das Interesse
an einer disziplinären Regelung, aber auch wie stark der Widerstand
von seiten der Enthusiasten und Rigoristen dauernd gewesen ist44.
40 HE V 1,17.49.
41 Daß es etwas derartiges in Phrygien tatsächlich gegeben hat, soll
damit nicht bestritten sein; vgl. H. Kraft, Die altkirchliche Prophetie und
die Entstehung des Montanismus, Theol. Zeitschr. 11 (1954) 269; aber es
reicht m.E. nicht aus, um die betonte Stelhmgnahme des Kapitels zu recht-
fertigen.
42 Vgl. o. S. 5f. 43 Vgl. o. S. 12.
44 Vgl. die weiteren Hinweise bei Gregoire, a. a. O. S. 26 Anm. 2: ,,On
pourrait dire, presque sans exageration, que la presence du montanisme
est la regle dans les Actes des martyrs de la fin du second siede.“