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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1957, 3. Abhandlung): Bearbeitungen und Interpolationen des Polykarpmartyriums — Heidelberg, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.42455#0028
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Hans Fuhr. von Campenhausen

6. Entscheidend spricht gegen die Ursprünglichkeit des ganzen
Textes m. E. dies: der ganze, ausführlich und wirr erzählte Vorgang,
wonach der Teufel oder die Juden den Niketes, Niketes seinerseits
den Prokonsul dazu bestimmen will, die Herausgabe des Leichnams
zu verweigern, verläuft am Ende ohne jedes greifbare Resultat. Es
gibt dem Interpolator nur die Gelegenheit, später gewisse theo-
logische Auseinandersetzungen einzufügen; aber am Ende empfängt
der Centurio nicht etwa einen Befehl des so intensiv bemühten Pro-
konsuls, sondern er tut von sich aus das „Übliche“65, weil er an-
gesichts des jüdischen Widerstandes (den er also selbst vor Augen
hat) Mißhelligkeiten vermeiden möchte. Alles Vorhergehende ist
eine für den Hergang selbst gänzlich belanglose, störend eingescho-
bene Zutat66.
Die geheime Absicht, die den Interpolator leitet, kommt in der
seltsamen Begründung zum Vorschein, die Niketes seinen Vor-
stellungen beim Prokonsul gibt: es müsse verhindert werden, daß
die Christen den Gekreuzigten fahren ließen und anstatt dessen an-
fingen, Polykarp zu verehren. Nun ist es allenfalls noch denkbar,
daß es im heidnischen Interesse lag, einen neuen Kult am Grabe
Polykarps unmöglich zu machen. Derartiges ist uns — in sehr viel
späterer Zeit! — in der Tat als Grund dafür überliefert, daß die
Herausgabe der Märtyrerleiber verweigert wurde67. Aber die K011-
trastierung mit dem Christuskult, der durch die Polykarp Verehrung
nicht Schaden leiden dürfe, ist im Munde eines Heiden völlig un-
sinnig und nur dazu in den Text gebracht, um auf eine nicht für die
Heiden, wohl aber für die Christen wichtige Streitfrage etwas näher
eingehen zu können. Damit sind wir beim zweiten, mit άγνοονντες
beginnenden Teil unserer Interpolation angelangt.
Auch hier ist der grammatikalische Anschluß an das unmittelbar
vorausgehende, mehr oder weniger echte Fragment so ungeschickt
wie nur möglich. Dem Sinne nach muß die Polemik gegen die
άγνοονντες auf die Heiden bezogen werden, deren Argumente vorher
65 Dagegen empfängt der Confector M 16,1 den Befehl (έκέλενσαν),
Polykarp zu durchbohren.
66 Der Einschub erinnert inhaltlich bis zu einem gewissen Grade an die
Intervention der Juden, die im Matthäusevangelium Pilatus um die Grabes-
wache bitten. Der seltsame Ausdruck τηρειν M 17,2 könnte vielleicht von
hier aus verstanden werden; vgl. Matth. 27,36.54; 28,4.
67 HE VIII 6,7. Im Lyonerbrief ist die Verweigerung der Leichname
anders begründet: HE V l,62f.
 
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