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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1958, 2. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.42457#0022
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Hans Frhr. von Campenhausen

etwaige „Visionen“ stehen für ihn auf einem anderen Blatt. Daß die
Aufzählung der Christuserscheinungen, so wie er sie gegeben hat, voll-
ständig sein will, ist vorauszusetzen; d. h. Paulus nennt hier sämtliche
zuverlässigen Zeugnisse und Zeugen, von denen er weiß. Die Liste kann
natürlich trotzdem lückenhaft sein; es kann sein, daß es noch weitere Oster-
begegnungen gegeben hat, von denen Paulus nicht wußte, weil sie nicht
zur Standard-Überlieferung gehörten, oder auch, weil sie ihm im Augen-
blick der Niederschrift nur nicht gegenwärtig waren. Aber Anzeichen, die
dies besonders wahrscheinlich machen könnten, gibt es nicht65. Das weitaus
meiste von dem, was in dieser Hinsicht über die paulinische Überlieferung
hinaus schon in den kanonischen und vollends in den apokryphen Evan-
gelien erzählt wird, muß als legendäre Wucherung angesehen werden und
hat auf geschichtliche Glaubwürdigkeit keinen Anspruch.
Ila.
Die Nachrichten, die Paulus bringt, sichern die Ostergeschehnisse, so-
weit sie nach Galiläa gehören. Für die frühen jerusalemischen Vorgänge
bieten sie uns nichts. Nur dies wird gesagt, daß Jesus gestorben und be-
graben wurde und am dritten Tage wieder auferstand. Aber die Folge-
rung, Paulus müsse vom leeren Grabe schon gewußt haben, weil er das
Begräbnis erwähnt66, ist gewiß zu kühn. Möglicherweise rechnet Paulus
mit einer realen Verwandlung und Verklärung des gestorbenen Leibes
und insofern auch mit einem „Leer“-werden des Grabes67; aber auf be-
65 Vgl. hierzu auch die Bemerkung Bruns S. 39 (und S. 65) über die große Ein-
fachheit des alten „Schemas“, in das die Auferstehungsgeschichten jeweils ge-
faßt waren.
66 So G. Kittel, Die Auferstehung Jesu, Deutsche Theol. 4 (1937) 140f., und
A. Nikolainen, Der Auferstehungsglauben in der Bibel und ihrer Umwelt II:
Neutestamentlicher Teil (1946) 60f.; Schmitt S. 120ff.; E. Lichtenstein, Die
älteste christl. Glaubensformel, Zeitschr. f. Kirchengesch. 63 (1950) 31ff.; vor-
sichtiger auch Rengstorf S. 40. 46f.
67 Damit habe ich in der ersten Auflage dieser Schrift ziemlich bestimmt gerechnet;
ebenso z. B. auch G. Stählin, „On the third day“, Interpretation 10 (1956)
282ff. Dies scheint sich vor allem aus der Gleichartigkeit der Auferstehung
Christi mit der Auferstehung der Christen (Röm. 8, 29) als Folgerung zu er-
geben. Aber Grass S. 146ff. hat nun doch sehr eindringlich gezeigt, daß ein
solcher Schluß nicht unanfechtbar ist. Besonders im Blick auf II. Kor. 5, 1 bleibt
es trotz Röm. 8, 11 denkbar, daß Paulus noch nicht mit einer Erneuerung des
toten Leibes Jesu gerechnet hat und dann also auch noch nicht mit einem
„Leer“-werden des Grabes zu rechnen brauchte. Andererseits würde sich Pau-
lus mit einer solchen Denkweise (bei der von einer Auferstehung des Leibes
Jesu im eigentlichen Sinne gar nicht mehr geredet werden könnte) zu allen
jüdischen Auferstehungserwartungen, von denen wir wissen, in Gegensatz
stellen und sich gerade dort den „gnostischen“ Vorstellungen nähern, wo er
sie am entschiedensten zu bekämpfen scheint. Jedenfalls nähert sich Paulus
dem Problem der Leiblichkeit in diesem Zusammenhang von einer ganz an-
 
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