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Hans Frhr. von Campenhausen
nicht mehr hier; er ist bereits unterwegs nach Galiläa83, wohin sie ihm fol-
gen sollen. Dort werden sie ihn dann selbst zu Gesicht bekommen. Das ist
ohne Zweifel ein legendarischer Zug, der die später folgenden Ereignisse
in einer wunderbaren Ankündigung vorwegnimmt. Auch der voraus-
gehende Bericht über den Gang der Frauen zum Grabe ist nicht frei von
Seltsamkeiten. Der Wunsch, einen schon beigesetzten, in Leintücher ge-
wickelten Toten „am dritten Tage“ noch zu salben, ist, wie man ihn auch
deuten mag, durch keine uns geläufige Sitte gedeckt84 und bei den klima-
tischen Verhältnissen Palästinas in sich selbst widersinnig85; und daß die
Frauen erst unterwegs auf den Gedanken kommen, sie hätten eigentlich
Hilfe nötig, um den Stein abzuwälzen und ins Grab zu gelangen, verrät
ein mehr als erträgliches Maß von Gedankenlosigkeit. An dieser Stelle
haben die späteren Evangelisten dementsprechend auch sämtlich geändert
und mit Streichungen, Umdeutungen oder weiteren, rationalen Erklärun-
gen zu helfen gesucht86. Aber so unwahrscheinlich der Markusbericht hier
auch sein mag — irgendeine wunderhaft-phantastische Tendenz wird in
solchen Einzelzügen nicht erkennbar. Sie dürften vielmehr als bloße, naive
Hilfsmittel einer etwas primitiven Erzählungskunst zu bewerten sein:
83 Die Wendung itpodyei üpäg eig tt]v TaXGaiav könnte auch transitiv übersetzt
werden: Jesus treibt seine Jünger an, ihm nach Galiläa zu folgen. Allein diese
vom allgemeinen Sprachgebrauch her naheliegende Möglichkeit verbietet sich
im Blick auf Mk. 14, 28 und die bis zu einem gewissen Grade technische Ver-
wendung des Wortes innerhalb des N. T.s im Sinne der „Nachfolge“; vgl.
K. L. Schmidt, Kittels Theol. Wörterb. z. N. T. 1 (1933) 130. An ein Führen
nach Galiläa, wobei die Mission im „Galiläa der Heiden“ gemeint wäre,
denkt C. F. Evans, „I will go before you into Galilee“? Journ. theol. Stud.
N. S. 5 (1954) 3ff., was sprachlich gleichfalls möglich, aber sachlich einiger-
maßen willkürlich erscheint. Über Marxsen s. u. Anm. 147.
84 Lukas erklärt die Verzögerung durch den ausdrücklichen Hinweis auf die
Sabbatruhe 23, 56b. Dagegen darf man nicht auf die jüdische Vorschrift Sabb.
23, 5 (vgl. Semach. 1, 2) verweisen, die das Salben eines Leichnams auch am
Sabbat gestattet; denn, von anderem abgesehen, ist hier nur an einen soeben
im Hause Verstorbenen gedacht, nicht an einen schon beigesetzten Toten, zu
zu dem man hinauspilgern müßte.
85 Doch braucht man nicht mit Clemen S. 97; Lohmeyer, Markus S. 296 dar-
über hinaus hier noch einen Widerspruch zur Salbungsgeschichte Mk. 14, 8 zu
entdecken. Daß die Frauen das frühere, weissagende Wort Jesu hätten kennen
und sich danach richten müssen, ist zu viel verlangt, und im übrigen geht es
ja tatsächlich in Erfüllung, und die Salbung wird nicht nochmals wiederholt.
Daß sie von der Salbung durch Joseph von Arimathia und von der Grabes-
wache noch nichts gewußt hätten, ist eine verzweifelte Annahme Bulsts, In-
quisitiones S. 273, mit der die Hinzufügungen der Parallelberichte gerettet
werden sollen; ähnliche Harmonisierungsversuche z. B. schon bei K. Born-
häuser, Die Kreuzesabnahme und das Begräbnis Jesu, Neue kirchl. Zeitschr.
42 (1931 S. 137ff.) 147ff. 161 ff.
88 Vgl. außer den kanonischen Evangelien auch das Petrusev. 12, 52ff. und die
Epist. apost. 9 (20).
Hans Frhr. von Campenhausen
nicht mehr hier; er ist bereits unterwegs nach Galiläa83, wohin sie ihm fol-
gen sollen. Dort werden sie ihn dann selbst zu Gesicht bekommen. Das ist
ohne Zweifel ein legendarischer Zug, der die später folgenden Ereignisse
in einer wunderbaren Ankündigung vorwegnimmt. Auch der voraus-
gehende Bericht über den Gang der Frauen zum Grabe ist nicht frei von
Seltsamkeiten. Der Wunsch, einen schon beigesetzten, in Leintücher ge-
wickelten Toten „am dritten Tage“ noch zu salben, ist, wie man ihn auch
deuten mag, durch keine uns geläufige Sitte gedeckt84 und bei den klima-
tischen Verhältnissen Palästinas in sich selbst widersinnig85; und daß die
Frauen erst unterwegs auf den Gedanken kommen, sie hätten eigentlich
Hilfe nötig, um den Stein abzuwälzen und ins Grab zu gelangen, verrät
ein mehr als erträgliches Maß von Gedankenlosigkeit. An dieser Stelle
haben die späteren Evangelisten dementsprechend auch sämtlich geändert
und mit Streichungen, Umdeutungen oder weiteren, rationalen Erklärun-
gen zu helfen gesucht86. Aber so unwahrscheinlich der Markusbericht hier
auch sein mag — irgendeine wunderhaft-phantastische Tendenz wird in
solchen Einzelzügen nicht erkennbar. Sie dürften vielmehr als bloße, naive
Hilfsmittel einer etwas primitiven Erzählungskunst zu bewerten sein:
83 Die Wendung itpodyei üpäg eig tt]v TaXGaiav könnte auch transitiv übersetzt
werden: Jesus treibt seine Jünger an, ihm nach Galiläa zu folgen. Allein diese
vom allgemeinen Sprachgebrauch her naheliegende Möglichkeit verbietet sich
im Blick auf Mk. 14, 28 und die bis zu einem gewissen Grade technische Ver-
wendung des Wortes innerhalb des N. T.s im Sinne der „Nachfolge“; vgl.
K. L. Schmidt, Kittels Theol. Wörterb. z. N. T. 1 (1933) 130. An ein Führen
nach Galiläa, wobei die Mission im „Galiläa der Heiden“ gemeint wäre,
denkt C. F. Evans, „I will go before you into Galilee“? Journ. theol. Stud.
N. S. 5 (1954) 3ff., was sprachlich gleichfalls möglich, aber sachlich einiger-
maßen willkürlich erscheint. Über Marxsen s. u. Anm. 147.
84 Lukas erklärt die Verzögerung durch den ausdrücklichen Hinweis auf die
Sabbatruhe 23, 56b. Dagegen darf man nicht auf die jüdische Vorschrift Sabb.
23, 5 (vgl. Semach. 1, 2) verweisen, die das Salben eines Leichnams auch am
Sabbat gestattet; denn, von anderem abgesehen, ist hier nur an einen soeben
im Hause Verstorbenen gedacht, nicht an einen schon beigesetzten Toten, zu
zu dem man hinauspilgern müßte.
85 Doch braucht man nicht mit Clemen S. 97; Lohmeyer, Markus S. 296 dar-
über hinaus hier noch einen Widerspruch zur Salbungsgeschichte Mk. 14, 8 zu
entdecken. Daß die Frauen das frühere, weissagende Wort Jesu hätten kennen
und sich danach richten müssen, ist zu viel verlangt, und im übrigen geht es
ja tatsächlich in Erfüllung, und die Salbung wird nicht nochmals wiederholt.
Daß sie von der Salbung durch Joseph von Arimathia und von der Grabes-
wache noch nichts gewußt hätten, ist eine verzweifelte Annahme Bulsts, In-
quisitiones S. 273, mit der die Hinzufügungen der Parallelberichte gerettet
werden sollen; ähnliche Harmonisierungsversuche z. B. schon bei K. Born-
häuser, Die Kreuzesabnahme und das Begräbnis Jesu, Neue kirchl. Zeitschr.
42 (1931 S. 137ff.) 147ff. 161 ff.
88 Vgl. außer den kanonischen Evangelien auch das Petrusev. 12, 52ff. und die
Epist. apost. 9 (20).