Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab
25
der Salbungs wünsch dient dazu, den Gang zum Grabe irgendwie konkret
zu motivieren, und die Sorge um den Stein wird nur vorgebracht, „um das
Wunder vorzubereiten und den Effekt zu steigern“87. Ein Wunder im
strengen Sinne wird überhaupt nicht erzählt, und das, was ohne diese er-
zählerischen „Kunstmittel“ übrig bleibt — ein Gang zum Grabe, das sich
geöffnet und leer erweist — ist ein sehr einfacher und durchaus nicht un-
denkbarer Tatbestand. Auch die Tätigkeit des Angelus interpres hält sich
in engen und bescheidenen Grenzen. Daß Jesus selbst nicht erscheint und
nach den Worten des Engels auch anschließend am Grabe offenbar noch
nicht erscheinen soll, ist ebenfalls wohl zu beachten. Es ist ein auffallen-
der Zug von Zurückhaltung, den, von Lukas abgesehen, kein späterer
Bericht bewahrt hat. Eine Legende, die zur Sicherung und Ergänzung der
Auferstehungsbotschaff nachträglich entworfen worden wäre, hätte doch
wohl anders aussehen müssen, und „religionsgeschichtlich“ betrachtet ist
die Szene überhaupt ohne brauchbare Analogie88.
Allein eine weitere Schwierigkeit ist mit dem allen noch nicht berührt,
und auf diese in erster Linie stützt sich auch die entgegengesetzte An-
schauung. Sie liegt im letzten Satz der Geschichte, der mit Recht immer
wieder Befremden erregt hat. Nachdem die Frauen das leere Grab ge-
schaut und den Engel vernommen haben, eilen sie nicht etwa, wie man
annehmen sollte und wie sie geheißen sind, zu den Jüngern und sonstigen
Anhängern Jesu zurück, um sie in Kenntnis zu setzen, sondern fliehen nur
stumm von der Stätte; „denn ein zitternder Schrecken hatte sie befallen,
sie waren außer sich und sagten niemand ein Wort davon; denn sie fürch-
teten sich“89. Damit schließt die Geschichte und, wie heute wohl mit Recht
meist angenommen wird, das ganze Markusevangelium höchst überraschend
ab90. Es entsteht der schwerlich erwünschte Eindruck, die Frauen seien
87 So richtig Ed. Meyer I, 20 (literarisch geschickt [S. 17] sollte man diese Ver-
suche freilich nicht nennen); ähnlich Grass S. 20.
88 Über eine einigermaßen vergleichbare Darstellung in der Romanliteratur:
K. Kerenyi, Die griechische Romanliteratur in religionsgeschichtl. Beleuchtung
(1927) 1 Of.; Leipoldt, Auferstehungsgeschichten Sp. 737ff.; C. Schneider I,
73. 84.
89 Mk. 16, 8.
90 Ich gehe auf die Frage des Markusschlusses nicht mehr eigens ein. Sie ist reich-
lich diskutiert und für unsere Frage nicht entscheidend; vgl. zuletzt W. Bauer,
Griechisch-Deutsches Wörterbuch zum N. T. (19585) 1705f.; vgl. 274f. Sollte eine
Fortsetzung wirklich bestanden haben, so zeigt Mk. 16, 7 jedenfalls die Rich-
tung an, in die sie gegangen sein müßte. Es scheint, daß die Annahme, Mk.
16, 8 sei der ursprüngliche Schluß des Evangeliums, gegenwärtig wieder an
Boden gewinnt. Act. 20, 23—25; 21, 10—14 läge dann eine ganz entsprechende
Erzählungstechnik vor: das Martyrium des Paulus wird nur noch prophetisch
angekündigt, und „da die Apostelgeschichte das Lebensende des Apostels nicht
erzählt, ist diese Prophezeiung von um so größerer Bedeutung“: M. Dibelius,
Aufsätze zur Apostelgeschichte (1951) 136.
25
der Salbungs wünsch dient dazu, den Gang zum Grabe irgendwie konkret
zu motivieren, und die Sorge um den Stein wird nur vorgebracht, „um das
Wunder vorzubereiten und den Effekt zu steigern“87. Ein Wunder im
strengen Sinne wird überhaupt nicht erzählt, und das, was ohne diese er-
zählerischen „Kunstmittel“ übrig bleibt — ein Gang zum Grabe, das sich
geöffnet und leer erweist — ist ein sehr einfacher und durchaus nicht un-
denkbarer Tatbestand. Auch die Tätigkeit des Angelus interpres hält sich
in engen und bescheidenen Grenzen. Daß Jesus selbst nicht erscheint und
nach den Worten des Engels auch anschließend am Grabe offenbar noch
nicht erscheinen soll, ist ebenfalls wohl zu beachten. Es ist ein auffallen-
der Zug von Zurückhaltung, den, von Lukas abgesehen, kein späterer
Bericht bewahrt hat. Eine Legende, die zur Sicherung und Ergänzung der
Auferstehungsbotschaff nachträglich entworfen worden wäre, hätte doch
wohl anders aussehen müssen, und „religionsgeschichtlich“ betrachtet ist
die Szene überhaupt ohne brauchbare Analogie88.
Allein eine weitere Schwierigkeit ist mit dem allen noch nicht berührt,
und auf diese in erster Linie stützt sich auch die entgegengesetzte An-
schauung. Sie liegt im letzten Satz der Geschichte, der mit Recht immer
wieder Befremden erregt hat. Nachdem die Frauen das leere Grab ge-
schaut und den Engel vernommen haben, eilen sie nicht etwa, wie man
annehmen sollte und wie sie geheißen sind, zu den Jüngern und sonstigen
Anhängern Jesu zurück, um sie in Kenntnis zu setzen, sondern fliehen nur
stumm von der Stätte; „denn ein zitternder Schrecken hatte sie befallen,
sie waren außer sich und sagten niemand ein Wort davon; denn sie fürch-
teten sich“89. Damit schließt die Geschichte und, wie heute wohl mit Recht
meist angenommen wird, das ganze Markusevangelium höchst überraschend
ab90. Es entsteht der schwerlich erwünschte Eindruck, die Frauen seien
87 So richtig Ed. Meyer I, 20 (literarisch geschickt [S. 17] sollte man diese Ver-
suche freilich nicht nennen); ähnlich Grass S. 20.
88 Über eine einigermaßen vergleichbare Darstellung in der Romanliteratur:
K. Kerenyi, Die griechische Romanliteratur in religionsgeschichtl. Beleuchtung
(1927) 1 Of.; Leipoldt, Auferstehungsgeschichten Sp. 737ff.; C. Schneider I,
73. 84.
89 Mk. 16, 8.
90 Ich gehe auf die Frage des Markusschlusses nicht mehr eigens ein. Sie ist reich-
lich diskutiert und für unsere Frage nicht entscheidend; vgl. zuletzt W. Bauer,
Griechisch-Deutsches Wörterbuch zum N. T. (19585) 1705f.; vgl. 274f. Sollte eine
Fortsetzung wirklich bestanden haben, so zeigt Mk. 16, 7 jedenfalls die Rich-
tung an, in die sie gegangen sein müßte. Es scheint, daß die Annahme, Mk.
16, 8 sei der ursprüngliche Schluß des Evangeliums, gegenwärtig wieder an
Boden gewinnt. Act. 20, 23—25; 21, 10—14 läge dann eine ganz entsprechende
Erzählungstechnik vor: das Martyrium des Paulus wird nur noch prophetisch
angekündigt, und „da die Apostelgeschichte das Lebensende des Apostels nicht
erzählt, ist diese Prophezeiung von um so größerer Bedeutung“: M. Dibelius,
Aufsätze zur Apostelgeschichte (1951) 136.