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Hans Frhr. von Campenhausen
nicht widerlegt —, sondern Johannes setzt bereits eine entsprechende po-
lemische Darstellung voraus, der er seinerseits begegnen möchte135. Es ist
dabei wohl zu beachten, daß es sich nicht mehr einfach um eine Wiederho-
lung der gehässigen Verleumdung handelt, mit der es Matthäus zu tun hatte.
Nicht die Jünger haben den Leichnam gestohlen, sondern das vermeint-
liche Wunder ist durch denkbar natürliche und banale Umstände zustande
gekommen, und die Jünger haben das bloß nicht gemerkt. Die unwahr-
scheinliche Annahme, die gläubigen, opferbereiten Führer der ersten Ge-
meinde seien gemeine Gaukler und Gauner gewesen, ist hier also preis-
gegeben. Sie stirbt darum freilich nicht ab136; aber es ist klar, daß die Ab-
wehr der christlichen Verkündigung in dieser Form viel mehr Aussicht
hatte, ernstgenommen und geglaubt zu werden. So ist es auch kein Zufall,
daß sie in der späteren jüdischen Polemik die direkte Anklage gegen die
Jünger als Leichenräuber und Lügner verdrängt hat. In dieser zweiten
Form wird die Erklärung des leeren Grabes von jüdischen Gelehrten z. T.
noch heute versucht137. Die Apostel und die ersten Christen waren also
keine Betrüger, sondern leichtgläubige, unvorsichtige Toren, die einer
Täuschung zum Opfer gefallen sind. Auf dieser Stufe der Auseinander-
setzung ist eine Abwehr, wie sie Matthäus bringt, offenbar nicht mehr zu
gebrauchen, und so erscheint die Grabesgeschichte bei Johannes gegen die
neue Form der Verdächtigung in einer entsprechend veränderten, neuen
Gestalt. Von dem vorausgesetzten, angeblichen Irrtum, heißt es jetzt, kann
nach Lage der Dinge nicht die Rede sein. Die Jünger haben sich an Ort
135 Vielleicht hatte auch seine christliche Antwort bereits Vorgänger gehabt. Dar-
auf könnte insbesondere der Plural Joh. 20, 2 weisen, der im Munde Maria
Magdalenas, die bei Johannes als einzige Frau zum Grabe kommt, nicht recht
zu passen scheint. Aber es gibt sprachliche Analogien für diese Redeform,
durch die die Rekonstruktion einer älteren Quelle auf solchem Wege wieder
recht fraglich wird; vgl. Bultmann, Johannes S. 530 Anm. 3.
136 Justin, dial. 108, 2 setzt sie nach Matthäus voraus, beruft sich aber auf die
jüdischen Sendboten, die mit dieser Botschaft elg Jtacrav rf)v oixoupsvT]v ge-
sandt sein sollen. Auch Tertullian stellt in der angeführten Stelle beide Fas-
sungen der Anklage nebeneinander. Der Jude des Kelsos bei Orig. Cels. II 55
sdieint die Jünger nicht mehr als Leichenräuber, aber als Opfer einer Täu-
schung und zugleich als Schwindler anzusehen.
137 ygp z g jos Klausner, Jesus of Nazareth. His Life, Times and Teaching
(1929) 357: „We must assume that the owner of the tomb, Joseph of Arimathia,
thought it unfitting that one who had been crucified should remain in his
own ancestral tomb“. Ähnliches hatten freilich auch PIeinrich-Julius wie
Oskar Holtzmann erwogen; vgl. H. J. Holtzmann, Kommentar zu den Syn-
optikern (19013) 105 u. ö.; O. Holtzmann, Das Leben Jesu (1901) 392f. Über
Baldensperger s. o. Anm. 97. Nach P. Deussen, Die Philosophie der Bibel
(1913) 226f., müßten jedenfalls „einige oder mindestens einer“ der Jünger
gewußt haben, wo der Leichnam Jesu in Wirklichkeit geblieben war, und ihr
Schweigen bedeutete daher eine „kleine pia fraus, an welcher, wie es scheint,
nicht vorbeizukommen ist“.
Hans Frhr. von Campenhausen
nicht widerlegt —, sondern Johannes setzt bereits eine entsprechende po-
lemische Darstellung voraus, der er seinerseits begegnen möchte135. Es ist
dabei wohl zu beachten, daß es sich nicht mehr einfach um eine Wiederho-
lung der gehässigen Verleumdung handelt, mit der es Matthäus zu tun hatte.
Nicht die Jünger haben den Leichnam gestohlen, sondern das vermeint-
liche Wunder ist durch denkbar natürliche und banale Umstände zustande
gekommen, und die Jünger haben das bloß nicht gemerkt. Die unwahr-
scheinliche Annahme, die gläubigen, opferbereiten Führer der ersten Ge-
meinde seien gemeine Gaukler und Gauner gewesen, ist hier also preis-
gegeben. Sie stirbt darum freilich nicht ab136; aber es ist klar, daß die Ab-
wehr der christlichen Verkündigung in dieser Form viel mehr Aussicht
hatte, ernstgenommen und geglaubt zu werden. So ist es auch kein Zufall,
daß sie in der späteren jüdischen Polemik die direkte Anklage gegen die
Jünger als Leichenräuber und Lügner verdrängt hat. In dieser zweiten
Form wird die Erklärung des leeren Grabes von jüdischen Gelehrten z. T.
noch heute versucht137. Die Apostel und die ersten Christen waren also
keine Betrüger, sondern leichtgläubige, unvorsichtige Toren, die einer
Täuschung zum Opfer gefallen sind. Auf dieser Stufe der Auseinander-
setzung ist eine Abwehr, wie sie Matthäus bringt, offenbar nicht mehr zu
gebrauchen, und so erscheint die Grabesgeschichte bei Johannes gegen die
neue Form der Verdächtigung in einer entsprechend veränderten, neuen
Gestalt. Von dem vorausgesetzten, angeblichen Irrtum, heißt es jetzt, kann
nach Lage der Dinge nicht die Rede sein. Die Jünger haben sich an Ort
135 Vielleicht hatte auch seine christliche Antwort bereits Vorgänger gehabt. Dar-
auf könnte insbesondere der Plural Joh. 20, 2 weisen, der im Munde Maria
Magdalenas, die bei Johannes als einzige Frau zum Grabe kommt, nicht recht
zu passen scheint. Aber es gibt sprachliche Analogien für diese Redeform,
durch die die Rekonstruktion einer älteren Quelle auf solchem Wege wieder
recht fraglich wird; vgl. Bultmann, Johannes S. 530 Anm. 3.
136 Justin, dial. 108, 2 setzt sie nach Matthäus voraus, beruft sich aber auf die
jüdischen Sendboten, die mit dieser Botschaft elg Jtacrav rf)v oixoupsvT]v ge-
sandt sein sollen. Auch Tertullian stellt in der angeführten Stelle beide Fas-
sungen der Anklage nebeneinander. Der Jude des Kelsos bei Orig. Cels. II 55
sdieint die Jünger nicht mehr als Leichenräuber, aber als Opfer einer Täu-
schung und zugleich als Schwindler anzusehen.
137 ygp z g jos Klausner, Jesus of Nazareth. His Life, Times and Teaching
(1929) 357: „We must assume that the owner of the tomb, Joseph of Arimathia,
thought it unfitting that one who had been crucified should remain in his
own ancestral tomb“. Ähnliches hatten freilich auch PIeinrich-Julius wie
Oskar Holtzmann erwogen; vgl. H. J. Holtzmann, Kommentar zu den Syn-
optikern (19013) 105 u. ö.; O. Holtzmann, Das Leben Jesu (1901) 392f. Über
Baldensperger s. o. Anm. 97. Nach P. Deussen, Die Philosophie der Bibel
(1913) 226f., müßten jedenfalls „einige oder mindestens einer“ der Jünger
gewußt haben, wo der Leichnam Jesu in Wirklichkeit geblieben war, und ihr
Schweigen bedeutete daher eine „kleine pia fraus, an welcher, wie es scheint,
nicht vorbeizukommen ist“.