Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab
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dings eine weitere Legende der Apologetik zur Seite, die ansatzweise
schon im Petrusevangelium176 und bei Justin dem Märtyrer177 auftaucht,
in ihrer vollen Entfaltung aber gleichfalls erst modern ist und in den
kanonischen Evangelien selbst wiederum keinerlei Stütze findet: die Le-
gende, daß die Jünger nach dem Tode Jesu, endgültig verzweifelt, allem
Früheren einfach den Rücken gekehrt hätten und so an ihr Tagewerk zu-
rückgekehrt seien. Ihre Hoffnungen hatten sich eben nicht erfüllt und so-
mit scheinbar endgültig als Illusion erwiesen. Dieses düstere Bild ihres
resignierten Zustands ergibt nämlich die willkommene Folie für eine ganz
plötzliche, wunderbare und befreiende Wendung, die, wie man meint,
dann nur durch die Begegnung mit dem Auferstandenen selbst noch be-
wirkt werden konnte als ein schlechterdings unbegreifliches und psycho-
logisch völlig unerwartet eintretendes, neues Ereignis.
Allein eine solche Vorstellung vom Gang der Dinge ist, schon nach
ganz allgemeinen Gesichtspunkten geurteilt, nicht eben wahrscheinlich.
Schließlich kann der Tod Jesu für seine engeren Gefährten nicht gänzlich
überraschend hereingebrochen sein. Man kann die später redigierten Lei-
densweissagungen als reine vaticinia ex eventu natürlich ausscheiden und
kann annehmen, die Jünger hätten sich beim Einzug in Jerusalem noch
Jünger nach Galiläa gehen würden, woher sie zuerst kamen. Das widerspricht
jedoch der Meinung des Johannes, nach welchem sie vielmehr am Ostertage
in Jerusalem versammelt sind (20, 19). Der Ausdruck ,in das Seine' wird
also in unbestimmterem Sinne gebraucht sein, vielleicht etwas geringschätzig:
ein jeglicher in seinen Winkel. Worauf es ankommt, ist, daß jeder nur sich
selbst in Sicherheit bringt und Jesus sich einsam überlassen bleibt.“ J. Jere-
mias, Kittels Theol. Wörterb. 5 (1954) 705, möchte Joh. 16, 32 eine schon tra-
ditionelle Bezugnahme auf Jes. 53, 6 erkennen.
Übrigens ist man auch dann, wenn man wie z. B. Grass S. 117ff. die im
folgenden gebotene Motivierung des Jüngerzuges nicht mitmachen und das
leere Grab nach wie vor für eine reine Legende halten will, darum noch nicht
genötigt, zur Annahme einer Flucht der Jünger zurückzukehren. Einmal muß-
ten die Jerusalem-Pilger ja doch in ihre Heimat aufbrechen. Nicht die Rück-
kehr nach Galiläa, sondern nur die abermalige Reise nach Jerusalem bedarf
der Erklärung.
176 U. Anm. 180. Doch ist auch hier vorausgesetzt und sogar ausdrücklich gesagt,
daß die jünger zunächst in Jerusalem blieben, bis daß das Fest zu Ende war:
Ev. Pt. 14, 58.
177 Just. apol. I 50, 12: pexa oüv xö axaupcoüfjvai aüxöv xal oi yvcbpipoi aüxoü
jtavxeq aneaxriaav apvr]0äpevoi, aüxöv; dial. 53, 5: pexa ydp xö axaupcoüfjvai
aüxöv oi oüv aüxcö övxeg paürixal aüxoü öieaxeöaaffriaav, in Erfüllung der
Weissagung Sach. 13, 7; dial. 106, 1: [ol cercocrxokoi] pexa xö avaaxfjvai aüxöv
ex vexpcöv xal jieiaörjvai üjx’ aüxoü . . . pexevöriaav enl xcp aqplaxaaüai aüxoü,
öxe eaxaupadfri .. . Im Grunde steht hier sachlich nicht viel mehr drin als in
den entsprechenden Stellen der Evangelien. Trotzdem werden diese Worte
— neben der Emmausgeschichte und Joh. 21 — von H.-W. Bartsch, Parusie-
erwartung und Osterbotschaft, Ev. Theol. 7 (1947/48) 128, wieder als Zeug-
nisse der vermeintlichen Jüngerflucht nach Galiläa verstanden.
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dings eine weitere Legende der Apologetik zur Seite, die ansatzweise
schon im Petrusevangelium176 und bei Justin dem Märtyrer177 auftaucht,
in ihrer vollen Entfaltung aber gleichfalls erst modern ist und in den
kanonischen Evangelien selbst wiederum keinerlei Stütze findet: die Le-
gende, daß die Jünger nach dem Tode Jesu, endgültig verzweifelt, allem
Früheren einfach den Rücken gekehrt hätten und so an ihr Tagewerk zu-
rückgekehrt seien. Ihre Hoffnungen hatten sich eben nicht erfüllt und so-
mit scheinbar endgültig als Illusion erwiesen. Dieses düstere Bild ihres
resignierten Zustands ergibt nämlich die willkommene Folie für eine ganz
plötzliche, wunderbare und befreiende Wendung, die, wie man meint,
dann nur durch die Begegnung mit dem Auferstandenen selbst noch be-
wirkt werden konnte als ein schlechterdings unbegreifliches und psycho-
logisch völlig unerwartet eintretendes, neues Ereignis.
Allein eine solche Vorstellung vom Gang der Dinge ist, schon nach
ganz allgemeinen Gesichtspunkten geurteilt, nicht eben wahrscheinlich.
Schließlich kann der Tod Jesu für seine engeren Gefährten nicht gänzlich
überraschend hereingebrochen sein. Man kann die später redigierten Lei-
densweissagungen als reine vaticinia ex eventu natürlich ausscheiden und
kann annehmen, die Jünger hätten sich beim Einzug in Jerusalem noch
Jünger nach Galiläa gehen würden, woher sie zuerst kamen. Das widerspricht
jedoch der Meinung des Johannes, nach welchem sie vielmehr am Ostertage
in Jerusalem versammelt sind (20, 19). Der Ausdruck ,in das Seine' wird
also in unbestimmterem Sinne gebraucht sein, vielleicht etwas geringschätzig:
ein jeglicher in seinen Winkel. Worauf es ankommt, ist, daß jeder nur sich
selbst in Sicherheit bringt und Jesus sich einsam überlassen bleibt.“ J. Jere-
mias, Kittels Theol. Wörterb. 5 (1954) 705, möchte Joh. 16, 32 eine schon tra-
ditionelle Bezugnahme auf Jes. 53, 6 erkennen.
Übrigens ist man auch dann, wenn man wie z. B. Grass S. 117ff. die im
folgenden gebotene Motivierung des Jüngerzuges nicht mitmachen und das
leere Grab nach wie vor für eine reine Legende halten will, darum noch nicht
genötigt, zur Annahme einer Flucht der Jünger zurückzukehren. Einmal muß-
ten die Jerusalem-Pilger ja doch in ihre Heimat aufbrechen. Nicht die Rück-
kehr nach Galiläa, sondern nur die abermalige Reise nach Jerusalem bedarf
der Erklärung.
176 U. Anm. 180. Doch ist auch hier vorausgesetzt und sogar ausdrücklich gesagt,
daß die jünger zunächst in Jerusalem blieben, bis daß das Fest zu Ende war:
Ev. Pt. 14, 58.
177 Just. apol. I 50, 12: pexa oüv xö axaupcoüfjvai aüxöv xal oi yvcbpipoi aüxoü
jtavxeq aneaxriaav apvr]0äpevoi, aüxöv; dial. 53, 5: pexa ydp xö axaupcoüfjvai
aüxöv oi oüv aüxcö övxeg paürixal aüxoü öieaxeöaaffriaav, in Erfüllung der
Weissagung Sach. 13, 7; dial. 106, 1: [ol cercocrxokoi] pexa xö avaaxfjvai aüxöv
ex vexpcöv xal jieiaörjvai üjx’ aüxoü . . . pexevöriaav enl xcp aqplaxaaüai aüxoü,
öxe eaxaupadfri .. . Im Grunde steht hier sachlich nicht viel mehr drin als in
den entsprechenden Stellen der Evangelien. Trotzdem werden diese Worte
— neben der Emmausgeschichte und Joh. 21 — von H.-W. Bartsch, Parusie-
erwartung und Osterbotschaft, Ev. Theol. 7 (1947/48) 128, wieder als Zeug-
nisse der vermeintlichen Jüngerflucht nach Galiläa verstanden.