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Hans Frhr. von Campenhausen
in den kühnsten apokalyptischen Erwartungen gewiegt und von unmittel-
bar bevorstehenden Triumphen geträumt. Aber in den folgenden Tagen,
da sich das Gewitter zusammenzog, müssen, sollte man meinen, doch auch
sie etwas davon gespürt haben, was sich vorbereitete, und werden es viel-
leicht auch empfunden haben, daß Jesus selbst der Katastrophe nicht aus-
weichen wollte, ihr vielmehr — auch dies kann man freilich bezweifeln —
bewußt entgegenging. Spätestens bei der Feier des Abendmahls, mag sie
im einzelnen noch so dunkel bleiben, müssen sie aber doch wohl gefühlt
haben, was bevorstand. Das zeigt in gewisser Weise auch die Geschichte
von der Verleugnung des Petrus, die zu verwerfen kein Grund besteht178.
Petrus macht den Versuch, auch dem bedrohten und scheinbar gescheiter-
ten Meister noch treu zu bleiben, gibt ihn also auch jetzt noch nicht völlig
preis179. Kann man sich’s unter diesen Umständen vorstellen, daß er und
alle andern Jünger mit ihm nach der Verurteilung und nach dem Tode
Jesu einfach einen Strich gezogen und sich mit dem Geschehenen sozu-
sagen abgefunden hätten, so daß sie, „als ob nichts geschehen wäre“, wie-
der nach Hause gingen? So hat sich der Petrusevangelist im späteren zwei-
ten Jahrhundert die Sache in der Tat vorgestellt180. Aber mir scheint, eine
Situation, wie sie Lukas in der Emmausgeschichte voraussetzt, hat von
vornherein mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Danach sind die Jünger nicht
einfach auseinandergelaufen, oder sie haben sich nach dem ersten Schrecken
zum Teil doch wieder zusammengefunden. Sie reden miteinander und su-
chen den Sinn des scheinbar ganz unbegreiflichen Geschehens zu ergrün-
den181. Ihre Rat- und Hilflosigkeit ist groß — so groß, daß selbst die Nach-
richt vom leeren Grabe ihnen noch nicht weiterhilft182; aber sie sind doch
weit davon entfernt, das scheinbare Ende Jesu und ihrer Hoffnungen als
Gegebenheit hinzunehmen, sie sind damit nicht „fertig“ geworden und
finden sich mit dem Geschehenen noch nicht ab.
Solchen Schilderungen liegen natürlich kaum irgendwelche zuverlässi-
gen „Nachrichten“ zugrunde; aber sie müssen darum auch nicht „falsch“
sein. Es gibt jedenfalls keinen anderen, dem entgegenstehenden alten Be-
richt. Vielleicht haben sich Markus und Matthäus die Situation ähnlich
178 Eine andere Frage ist natürlich, ob sie zum alten Bestand der Passionsüber-
lieferung gehört und hier nicht vielmehr nachträglich eingefügt ist: Bultmann,
Tradition S. 30lff.; Dibelius, Formgeschichte S. 180. 184. 215ff.
179 Man könnte dies freilich auch als Akt einer rein menschlichen Anhänglichkeit
und Treue auslegen, oder man könnte sagen, daß Petrus die Sache bis zu-
letzt nicht ganz verloren geben wollte. Aber dies wäre eine kühne Annahme.
Iso j?Vi pt. 59f.: fjpeig ös ot öcoSbxoc pcd)r|xai xoü xupiou exliaiopEv xat
eA.wtoüpEÜa xai exaaxog WTOupevog öide xö crupßdv 6üTT}A,A.dYTi elg xöv olxov
aüxoü. eycb 8e 2'ipcov Ilsxpog xal ’Avöpsag 6 aöe^cpog pou Aaßovxeg r]pcöv xd
Xiva ditr|küapev Big xrjv fta’kaooö.v . . .
181 Lk. 24, 14f.
182 Lk. 24, 22ff.
Hans Frhr. von Campenhausen
in den kühnsten apokalyptischen Erwartungen gewiegt und von unmittel-
bar bevorstehenden Triumphen geträumt. Aber in den folgenden Tagen,
da sich das Gewitter zusammenzog, müssen, sollte man meinen, doch auch
sie etwas davon gespürt haben, was sich vorbereitete, und werden es viel-
leicht auch empfunden haben, daß Jesus selbst der Katastrophe nicht aus-
weichen wollte, ihr vielmehr — auch dies kann man freilich bezweifeln —
bewußt entgegenging. Spätestens bei der Feier des Abendmahls, mag sie
im einzelnen noch so dunkel bleiben, müssen sie aber doch wohl gefühlt
haben, was bevorstand. Das zeigt in gewisser Weise auch die Geschichte
von der Verleugnung des Petrus, die zu verwerfen kein Grund besteht178.
Petrus macht den Versuch, auch dem bedrohten und scheinbar gescheiter-
ten Meister noch treu zu bleiben, gibt ihn also auch jetzt noch nicht völlig
preis179. Kann man sich’s unter diesen Umständen vorstellen, daß er und
alle andern Jünger mit ihm nach der Verurteilung und nach dem Tode
Jesu einfach einen Strich gezogen und sich mit dem Geschehenen sozu-
sagen abgefunden hätten, so daß sie, „als ob nichts geschehen wäre“, wie-
der nach Hause gingen? So hat sich der Petrusevangelist im späteren zwei-
ten Jahrhundert die Sache in der Tat vorgestellt180. Aber mir scheint, eine
Situation, wie sie Lukas in der Emmausgeschichte voraussetzt, hat von
vornherein mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Danach sind die Jünger nicht
einfach auseinandergelaufen, oder sie haben sich nach dem ersten Schrecken
zum Teil doch wieder zusammengefunden. Sie reden miteinander und su-
chen den Sinn des scheinbar ganz unbegreiflichen Geschehens zu ergrün-
den181. Ihre Rat- und Hilflosigkeit ist groß — so groß, daß selbst die Nach-
richt vom leeren Grabe ihnen noch nicht weiterhilft182; aber sie sind doch
weit davon entfernt, das scheinbare Ende Jesu und ihrer Hoffnungen als
Gegebenheit hinzunehmen, sie sind damit nicht „fertig“ geworden und
finden sich mit dem Geschehenen noch nicht ab.
Solchen Schilderungen liegen natürlich kaum irgendwelche zuverlässi-
gen „Nachrichten“ zugrunde; aber sie müssen darum auch nicht „falsch“
sein. Es gibt jedenfalls keinen anderen, dem entgegenstehenden alten Be-
richt. Vielleicht haben sich Markus und Matthäus die Situation ähnlich
178 Eine andere Frage ist natürlich, ob sie zum alten Bestand der Passionsüber-
lieferung gehört und hier nicht vielmehr nachträglich eingefügt ist: Bultmann,
Tradition S. 30lff.; Dibelius, Formgeschichte S. 180. 184. 215ff.
179 Man könnte dies freilich auch als Akt einer rein menschlichen Anhänglichkeit
und Treue auslegen, oder man könnte sagen, daß Petrus die Sache bis zu-
letzt nicht ganz verloren geben wollte. Aber dies wäre eine kühne Annahme.
Iso j?Vi pt. 59f.: fjpeig ös ot öcoSbxoc pcd)r|xai xoü xupiou exliaiopEv xat
eA.wtoüpEÜa xai exaaxog WTOupevog öide xö crupßdv 6üTT}A,A.dYTi elg xöv olxov
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Xiva ditr|küapev Big xrjv fta’kaooö.v . . .
181 Lk. 24, 14f.
182 Lk. 24, 22ff.