Logische Studien zur Gesetzesanwendung
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„Tatsache“ anzunehmen, daß — wie gerade in den Beispielsfällen
der „Gefahr“, der „Anlage“ — an der Tatsachenfeststellung außer
Wahrnehmungen auch Erinnerungen, Erfahrung, kategoriale und
logische Verarbeitung des Materials beteiligt sind. „Tatsache“ und
„Urteil“ bedeuten keinen Gegensatz, das hat man längst erkannt
und darf auch dann festgehalten werden, wenn man die Tatsache
als Gegenstand des Urteils ansieht* 1. Denn jedenfalls werden Tat-
sachen nicht nur in Wahrnehmungen und Empfindungen, sondern
auch in Urteilen erfaßt2. Man scheute daher auch nicht davor zu-
rück, hypothetische Tatsachen („wie eine Entwicklung abgelaufen
wäre, wenn . . . .“) als Tatsachen gelten zu lassen3. Sind aber die
„Erfahrungssätze“ selbst, soweit sie aus Einzeltatsachen induktiv
gewonnen sind, oder anders gewendet: sind die Gesetze der anor-
ganischen und organischen Natur sowie des tierischen oder mensch-
lichen Seelenlebens „Tatsachen“ ? Stein hat in seiner bekannten
Arbeit über das „private Wissen des Richters“ die Erfahrungssätze
in grundlegender Weise behandelt und sie als „tatsächliche Ober-
behauptet etwa, eine Ware sei von hervorragender Qualität und behauptet
damit zugleich, man habe die Ware gesehen und geprüft und sei zu dieser
Überzeugung gelangt; aber diese Tatsachen sind dann auch etwas anderes
als das Wertattribut selbst: die Qualität der Ware) oder die Behauptung
solcher Tatsachen, auf die sich das Werturteil gründet (man behauptet z. B.,
ein Mensch sei verlogen, verwahrlost, unzuverlässig und will damit zugleich
sagen, der betreffende Mensch habe schon öfters bewußt die Unwahrheit ge-
sagt, lebe in soundso gearteten tatsächlichen Verhältnissen, habe schon mehr-
fach gegebene Zusagen nicht gehalten; aber auch hier muß die Tatsachen-
basis von dem angehängten Wertattribut gesondert werden; vgl. dazu das
im Text über Charakter und Gesinnung Gesagte). Siehe zu alledem u. a.
Frank, Kommentar zum StGB., 18. Auf]. 1930, II zu § 263; Engelhard,
a.a.O., S. 108 ff.; Reichsgericht JW. 1932, S. 2727 Nr. 26 und EntschSt. 64,
S. 12/13. Aus dem Gesagten folgt auch, wie man sich zur Tatsachennatur von
Rechtsverhältnissen, d. h. von rechtlich geregelten und bewerteten Lebens-
verhältnissen zu stellen hat. Vgl. hierzu etwa Manigk, Reichsgerichtsfest-
gabe VI, 1929, S. 130/31, 133 u.
1 Daß Tatsache und Tatsachenbehauptung nicht einfach identifiziert
werden dürfen, wurde schon oben betont.
2 Vgl. hierzu etwa Stein, Das private Wissen des Richters, 1893, S. 8ff.;
Rumpf, Der Strafrichter I, 1912, S. lOOf. u. ö.; Mezger, Sachverständiger,
S. 30, 38ff.; Engelhard, a.a.O., S. 101 f.; Sauer, Grundlagen des Prozeß-
rechts, 1919, S. 64f.; Jacoby, Allg. Ontologie, 1925, S. 21ff.; Burkamp,
Logik, § 262ff.
3 Siehe z. B. Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts, 3. Aufl., S. 240.
Ausführlicher Kisch, Die bestimmte Bezeichnung der Eidestatsache, Larand-
Festschrift, 1908, S. 237ff. Vorsicht ist immerhin geboten!
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„Tatsache“ anzunehmen, daß — wie gerade in den Beispielsfällen
der „Gefahr“, der „Anlage“ — an der Tatsachenfeststellung außer
Wahrnehmungen auch Erinnerungen, Erfahrung, kategoriale und
logische Verarbeitung des Materials beteiligt sind. „Tatsache“ und
„Urteil“ bedeuten keinen Gegensatz, das hat man längst erkannt
und darf auch dann festgehalten werden, wenn man die Tatsache
als Gegenstand des Urteils ansieht* 1. Denn jedenfalls werden Tat-
sachen nicht nur in Wahrnehmungen und Empfindungen, sondern
auch in Urteilen erfaßt2. Man scheute daher auch nicht davor zu-
rück, hypothetische Tatsachen („wie eine Entwicklung abgelaufen
wäre, wenn . . . .“) als Tatsachen gelten zu lassen3. Sind aber die
„Erfahrungssätze“ selbst, soweit sie aus Einzeltatsachen induktiv
gewonnen sind, oder anders gewendet: sind die Gesetze der anor-
ganischen und organischen Natur sowie des tierischen oder mensch-
lichen Seelenlebens „Tatsachen“ ? Stein hat in seiner bekannten
Arbeit über das „private Wissen des Richters“ die Erfahrungssätze
in grundlegender Weise behandelt und sie als „tatsächliche Ober-
behauptet etwa, eine Ware sei von hervorragender Qualität und behauptet
damit zugleich, man habe die Ware gesehen und geprüft und sei zu dieser
Überzeugung gelangt; aber diese Tatsachen sind dann auch etwas anderes
als das Wertattribut selbst: die Qualität der Ware) oder die Behauptung
solcher Tatsachen, auf die sich das Werturteil gründet (man behauptet z. B.,
ein Mensch sei verlogen, verwahrlost, unzuverlässig und will damit zugleich
sagen, der betreffende Mensch habe schon öfters bewußt die Unwahrheit ge-
sagt, lebe in soundso gearteten tatsächlichen Verhältnissen, habe schon mehr-
fach gegebene Zusagen nicht gehalten; aber auch hier muß die Tatsachen-
basis von dem angehängten Wertattribut gesondert werden; vgl. dazu das
im Text über Charakter und Gesinnung Gesagte). Siehe zu alledem u. a.
Frank, Kommentar zum StGB., 18. Auf]. 1930, II zu § 263; Engelhard,
a.a.O., S. 108 ff.; Reichsgericht JW. 1932, S. 2727 Nr. 26 und EntschSt. 64,
S. 12/13. Aus dem Gesagten folgt auch, wie man sich zur Tatsachennatur von
Rechtsverhältnissen, d. h. von rechtlich geregelten und bewerteten Lebens-
verhältnissen zu stellen hat. Vgl. hierzu etwa Manigk, Reichsgerichtsfest-
gabe VI, 1929, S. 130/31, 133 u.
1 Daß Tatsache und Tatsachenbehauptung nicht einfach identifiziert
werden dürfen, wurde schon oben betont.
2 Vgl. hierzu etwa Stein, Das private Wissen des Richters, 1893, S. 8ff.;
Rumpf, Der Strafrichter I, 1912, S. lOOf. u. ö.; Mezger, Sachverständiger,
S. 30, 38ff.; Engelhard, a.a.O., S. 101 f.; Sauer, Grundlagen des Prozeß-
rechts, 1919, S. 64f.; Jacoby, Allg. Ontologie, 1925, S. 21ff.; Burkamp,
Logik, § 262ff.
3 Siehe z. B. Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts, 3. Aufl., S. 240.
Ausführlicher Kisch, Die bestimmte Bezeichnung der Eidestatsache, Larand-
Festschrift, 1908, S. 237ff. Vorsicht ist immerhin geboten!