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Karl Engisch:
des gemischt hypothetischen Schlusses gefolgert1, daß weil hier und
jetzt X aufgetreten ist, auch Y auftreten mußte, oder weil Y auf-
getreten ist, X möglicherweise — und falls der Satz gilt „nur wenn
X, dann Y“, sogar gewiß2 — vorhanden war. Soweit dann aber die-
ser Schluß noch mehrere Möglichkeiten offen läßt (weil X und Y nur
der Gattung nach bestimmt sind und somit aus dem Vorliegen eines
bestimmten X nur ein Vorliegen irgendeines Falles von Y erschlos-
sen werden kann, oder weil aus dem Satz „wenn X, so Y“ nur die
Umkehrung abzuleiten ist „wenn Y, so möglicherweise X“), muß
ein apagogisches Verfahren alle diejenigen Möglichkeiten ausschlie-
ßen, die mit dem zu beweisenden Sachverhalt konkurrieren3. Da-
bei ist es besonders erfreulich, wenn diese konkurrierenden Möglich-
keiten eine vollständige Disjunktion bilden, z. B.: „Selbstmord oder
Mord durch A, Selbstmord scheidet aus, also . . .“4. Doch wird sich
dies nicht immer erreichen lassen. Im letzteren Falle muß man sich
mit der Ausschaltung derjenigen Möglichkeiten begnügen, die sich
gerade nach Lage der Dinge anbieten. Ist dann das Ziel des Indi-
zienbeweises erreicht, so ist auf Grund irgendwelcher unmittelbar
wahrgenommener Tatsachen ein Tatsachenkomplex festgestellt,
dessen Wahrnehmung zwar dem Urteiler selbst und auch häufig ir-
gendwelchen Zeugen entzogen sein mag, der dann aber im früher
dargelegten Sinne grundsätzlich wahrnehmbar war und übrigens
auch bei allen Handlungen und den ihnen vorangegangenen seeli-
schen Prozessen wenigstens vom Handelnden selbst tatsächlich
wahrgenommen wurde (beim Handlungserfolg kann es freilich
schon anders sein: so kann der Untergang eines durch Höllenma-
schine versenkten unbemannten Schiffes von niemandem wahrge-
nommen sein).
Das Gesamtergebnis wäre dann folgendes: Rechtserhebliche
Tatsachen als grundsätzlich wahrnehmbare Bestandteile des Wirk-
1 Abweichend Külpe, Logik, 1923, S. 294ff., 324f., der hier besondere
„Sachverhaltsschlüsse“ annimmt. Ähnlich („Relationsbeweis“) Honecker,
Logik, 1927, S. 172, 181. Zu den induktiven Beweisen zählt den Indizien-
beweis Grau, Logik, 3. Aufl. 1929, S. 143, 145/46. Wundt, Logik, 4. Aufl.
1920, II, S. 65 spricht von einem „praktischen Induktionsbeweis“. Über
Schriftsteller, die überhaupt bestreiten wollen, daß der Indizienbeweis ein
Schlußverfahren darstelle (Rumpf usw.) siehe Moser, In dubio pro reo, S. 37f.
2 Vgl. hierzu Wundt, Logik, 5. Aufl. 1924, I, S. 334/35.
3 Richtig Beling, a.a.O., S. 293 Abs. 2. Siehe auch Schuppe, Grundriß
der Logik, 1894, S. 55 Abs. 2.
4 Siehe hierzu auch Sigwart, a.a.O., S. 623f.
Karl Engisch:
des gemischt hypothetischen Schlusses gefolgert1, daß weil hier und
jetzt X aufgetreten ist, auch Y auftreten mußte, oder weil Y auf-
getreten ist, X möglicherweise — und falls der Satz gilt „nur wenn
X, dann Y“, sogar gewiß2 — vorhanden war. Soweit dann aber die-
ser Schluß noch mehrere Möglichkeiten offen läßt (weil X und Y nur
der Gattung nach bestimmt sind und somit aus dem Vorliegen eines
bestimmten X nur ein Vorliegen irgendeines Falles von Y erschlos-
sen werden kann, oder weil aus dem Satz „wenn X, so Y“ nur die
Umkehrung abzuleiten ist „wenn Y, so möglicherweise X“), muß
ein apagogisches Verfahren alle diejenigen Möglichkeiten ausschlie-
ßen, die mit dem zu beweisenden Sachverhalt konkurrieren3. Da-
bei ist es besonders erfreulich, wenn diese konkurrierenden Möglich-
keiten eine vollständige Disjunktion bilden, z. B.: „Selbstmord oder
Mord durch A, Selbstmord scheidet aus, also . . .“4. Doch wird sich
dies nicht immer erreichen lassen. Im letzteren Falle muß man sich
mit der Ausschaltung derjenigen Möglichkeiten begnügen, die sich
gerade nach Lage der Dinge anbieten. Ist dann das Ziel des Indi-
zienbeweises erreicht, so ist auf Grund irgendwelcher unmittelbar
wahrgenommener Tatsachen ein Tatsachenkomplex festgestellt,
dessen Wahrnehmung zwar dem Urteiler selbst und auch häufig ir-
gendwelchen Zeugen entzogen sein mag, der dann aber im früher
dargelegten Sinne grundsätzlich wahrnehmbar war und übrigens
auch bei allen Handlungen und den ihnen vorangegangenen seeli-
schen Prozessen wenigstens vom Handelnden selbst tatsächlich
wahrgenommen wurde (beim Handlungserfolg kann es freilich
schon anders sein: so kann der Untergang eines durch Höllenma-
schine versenkten unbemannten Schiffes von niemandem wahrge-
nommen sein).
Das Gesamtergebnis wäre dann folgendes: Rechtserhebliche
Tatsachen als grundsätzlich wahrnehmbare Bestandteile des Wirk-
1 Abweichend Külpe, Logik, 1923, S. 294ff., 324f., der hier besondere
„Sachverhaltsschlüsse“ annimmt. Ähnlich („Relationsbeweis“) Honecker,
Logik, 1927, S. 172, 181. Zu den induktiven Beweisen zählt den Indizien-
beweis Grau, Logik, 3. Aufl. 1929, S. 143, 145/46. Wundt, Logik, 4. Aufl.
1920, II, S. 65 spricht von einem „praktischen Induktionsbeweis“. Über
Schriftsteller, die überhaupt bestreiten wollen, daß der Indizienbeweis ein
Schlußverfahren darstelle (Rumpf usw.) siehe Moser, In dubio pro reo, S. 37f.
2 Vgl. hierzu Wundt, Logik, 5. Aufl. 1924, I, S. 334/35.
3 Richtig Beling, a.a.O., S. 293 Abs. 2. Siehe auch Schuppe, Grundriß
der Logik, 1894, S. 55 Abs. 2.
4 Siehe hierzu auch Sigwart, a.a.O., S. 623f.